bbv: Stefan Häberling, generative Künstliche Intelligenz hat sich in den letzten Jahren sprunghaft entwickelt. Stehen wir vor einem Wendepunkt in der Geschäftswelt?
Stefan Häberling: Ja, wir stehen tatsächlich an einem Wendepunkt. Die rasante Entwicklung der generativen KI in den letzten Jahren, insbesondere im Bereich der Large Language Models, hat das Potenzial, nahezu jeden Geschäftsbereich zu transformieren. Allerdings sehe ich das nicht als eine plötzliche Revolution, sondern als den Beginn einer bedeutenden Evolution in der Art und Weise, wie wir arbeiten und Geschäfte machen.
Die generative KI bietet uns Werkzeuge, die unsere Fähigkeiten erweitern und uns bei einer Vielzahl von Aufgaben unterstützen können – von der Datenanalyse über die Erstellung von Inhalten bis hin zur Entscheidungsfindung. Was ich besonders spannend finde, ist die Demokratisierung dieser Technologie. KI ist nicht mehr nur grossen Tech-Konzernen vorbehalten, sondern wird zunehmend für Unternehmen jeder Grösse zugänglich. Das eröffnet enorme Möglichkeiten für Innovation und Effizienzsteigerungen.
Gleichzeitig stehen wir vor grossen Herausforderungen. Ethische Fragen, Datenschutz und die Notwendigkeit, diese Technologien verantwortungsvoll und nachhaltig einzusetzen, rücken in den Vordergrund. Zudem müssen Unternehmen lernen, wie sie KI strategisch und effektiv in ihre Prozesse integrieren können.
Welche Rolle spielen kleine, spezialisierte Anbieter in diesem Umfeld? Können sie mit den Ressourcen der Tech-Giganten mithalten?
Die Rolle kleinerer, spezialisierter Anbieter sehe ich als absolut entscheidend für den Erfolg von KI in der breiten Geschäftswelt an. Während die grossen Tech-Unternehmen exzellente Grundlagenmodelle und Plattformen bereitstellen, liegt der wahre Wert für Unternehmen oft in der spezifischen Anwendung und Anpassung dieser Technologien auf ihre individuellen Bedürfnisse.
Hier kommen spezialisierte Anbieter ins Spiel. Wir verfügen über die Flexibilität und das spezifische Know-how, um massgeschneiderte Lösungen zu entwickeln, die genau auf die Anforderungen und Prozesse einzelner Unternehmen oder Branchen zugeschnitten sind. Zudem haben wir oft ein tieferes Verständnis für lokale Märkte, Regularien und Geschäftspraktiken.
«Der bbv AI Hub schlägt eine Brücke zwischen fortschrittlichen KI-Technologien und den Bedürfnissen verschiedener Branchen.»
Stefan Häberling
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Agilität. Kleinere Anbieter können oft schneller auf Marktveränderungen und neue Anforderungen reagieren. Wir können Nischen bedienen, die für grosse Tech-Unternehmen vielleicht nicht attraktiv genug sind, aber für bestimmte Kunden oder Branchen entscheidend sein können.
Darüber hinaus sehe ich die Zusammenarbeit zwischen grossen Tech-Unternehmen und spezialisierten Anbietern als einen Schlüssel zum Erfolg. Wir können die leistungsfähigen Grundlagenmodelle und Infrastrukturen der Tech-Giganten nutzen und darauf aufbauend spezialisierte, kundenspezifische Lösungen entwickeln.
Die bbv hat den bbv AI Hub entwickelt. Was genau ist der AI Hub und wie unterscheidet er sich von KI-Assistenten wie Microsoft Copilot?
Der bbv AI Hub ist eine Plattform zur Entwicklung und Bereitstellung massgeschneiderter KI-Agenten für spezifische Geschäftsanforderungen. Der Hauptunterschied zu KI-Assistenten wie Microsoft Copilot liegt in unserem Ansatz. Während Copilot darauf ausgerichtet ist, die Interaktion mit Microsoft-Produkten zu vereinfachen und allgemeine Produktivitätsaufgaben zu unterstützen, geht der bbv AI Hub einen Schritt weiter. Wir entwickeln KI-Agenten, die auf sehr spezifische, oft komplexe Geschäftsprozesse und Anwendungsfälle zugeschnitten sind.
Ein Beispiel: Wenn ein Unternehmen Copilot einsetzt, um Excel-Tabellen zu optimieren oder E-Mails zu verfassen, ist das sicherlich nützlich. Aber stellen Sie sich vor, ein Pharmaunternehmen möchte den gesamten Prozess der Medikamentenentwicklung optimieren, von der Forschung bis zur Zulassung. Hier kommt der AI Hub ins Spiel. Wir können einen spezialisierten Agenten entwickeln, der nicht nur Daten analysiert, sondern auch komplexe regulatorische Anforderungen berücksichtigt, Forschungsergebnisse interpretiert und sogar potenzielle Nebenwirkungen vorhersagt.
«Der bbv AI Hub der Zukunft ist nicht nur ein Tool, sondern ein echter Partner für Wissensarbeiter.»
Stefan Häberling
Ein weiterer wichtiger Unterschied ist die Flexibilität und Kontrolle, die wir bieten. Der AI Hub erlaubt es Unternehmen, ihre eigenen Daten und Modelle zu integrieren, den Entscheidungsprozess der KI nachzuvollziehen und die Agenten kontinuierlich an sich ändernde Anforderungen anzupassen.
Zudem legen wir grossen Wert auf Datenschutz und Compliance. Der AI Hub kann so konfiguriert werden, dass er vollständig innerhalb der IT-Infrastruktur des Kunden oder in einer sicheren Schweizer Cloud-Umgebung läuft, was gerade für sensible Branchen wie das Gesundheitswesen oder den Finanzsektor von grosser Bedeutung ist.
Viele Unternehmen setzen bereits auf KI-Standardlösungen. Wann macht es Sinn, eine spezialisierte Lösung wie den bbv AI Hub einzusetzen, und wann ist eine Standardsoftware ausreichend?
Es gibt keine allgemeingültige Antwort, aber ich kann Ihnen einige klare Kriterien nennen, die Unternehmen bei dieser Entscheidung helfen können.
Zunächst einmal möchte ich betonen, dass Standardlösungen wie Microsoft Copilot oder die GPTs von OpenAI hervorragende Werkzeuge sind. Sie eignen sich besonders gut für allgemeine Produktivitätsaufgaben, wie das Erstellen von Dokumenten, die Analyse von Standarddaten oder die Beantwortung allgemeiner Fragen.
Der bbv AI Hub kommt ins Spiel, wenn wir über hochspezialisierte, branchen- oder unternehmensspezifische Prozesse sprechen. Hier einige Kriterien, die für den Einsatz des bbv AI Hubs sprechen:
- Komplexität der Aufgabe: Wenn die zu lösende Aufgabe sehr komplex ist und spezifisches Fachwissen erfordert, das über allgemeines Wissen hinausgeht.
- Datensensibilität: Wenn es um die Verarbeitung hochsensibler Daten geht, die nicht an externe Dienste weitergegeben werden dürfen.
- Integrationstiefe: Wenn die KI-Lösung tief in bestehende Unternehmensprozesse und -systeme integriert werden muss.
- Kontrolle und Transparenz: Wenn Unternehmen den KI-Entscheidungsprozess genau nachvollziehen und kontrollieren müssen.
- Spezifische Branchenanforderungen: Wenn es um die Einhaltung spezifischer Branchenstandards oder Regulierungen geht.
- Skalierbarkeit spezifischer Lösungen: Wenn ein Unternehmen plant, eine KI-Lösung für einen spezifischen Prozess unternehmensweit auszurollen.
- Kontinuierliche Verbesserung: Wenn das Unternehmen die KI-Lösung kontinuierlich verbessern und an sich ändernde Anforderungen anpassen möchte.
Letztendlich geht es darum, die richtige Balance zwischen Standardisierung und Spezialisierung zu finden. In vielen Fällen kann sogar eine Kombination sinnvoll sein: Standardlösungen für allgemeine Aufgaben und der bbv AI Hub für spezifische, geschäftskritische Prozesse.
In welche Richtung entwickeln sich KI-Lösungen in den nächsten Jahren und welche Rolle wird der bbv AI Hub dabei spielen?
In den kommenden Jahren erwarte ich eine stärkere Integration von KI in nahezu alle Geschäftsprozesse. Es wird zwei parallele Entwicklungen geben: generische KI-Lösungen werden leistungsfähiger und benutzerfreundlicher, und der Bedarf an hochspezialisierten, branchenspezifischen KI-Lösungen wird zunehmen.
Der bbv AI Hub wird dabei eine wichtige Rolle spielen, indem er eine Brücke zwischen fortschrittlichen KI-Technologien und den Anforderungen verschiedener Branchen schlägt. Der AI Hub wird als Plattform für die Orchestrierung verschiedener KI-Dienste und -Modelle fungieren, um komplexe, unternehmensweite KI-Ökosysteme zu ermöglichen.
Eine grosse Herausforderung wird die zunehmende Komplexität und der Bedarf an Transparenz und Erklärbarkeit von KI-Entscheidungen sein. Wir arbeiten intensiv daran, die Entscheidungsprozesse unserer KI-Agenten nachvollziehbarer zu machen. Datenschutz und Sicherheit bleiben von höchster Bedeutung, und wir investieren kontinuierlich in die Verbesserung unserer Sicherheitsprotokolle.
Ein weiterer Fokus liegt auf der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI, wobei der AI Hub der Zukunft nicht nur als Tool, sondern als echter Partner für Wissensarbeiter fungieren soll.