CEO-Interview

«Unsere zwei Märkte sind Kunden und Experten»

Schweizer Software-Schmieden müssen nicht nur bei den Kunden konkurrenzfähig sein, sondern auch bei den benötigten Experten. Wie dieser Spagat zu schaffen ist, erklärt bbv-CEO Philipp Kronenberg.

11.04.2018Text: tnt-graphicsFotos: Donovan Wyrsch0 Kommentare
BBV_Software Service_Philipp Kronenberg

CEO Philipp Kronenberg übernahm vor vier Jahren die Leitung der Software-und Beratungsfirma bbv Software Services. Nach einem harzigen Start steht das Unternehmen heute auf einer soliden Basis – nicht zuletzt dank der kompletten Reorganisation der Firma und fast doppelt so vielen Angestellten. Wie bbv den Wandel der letzten Jahre geschafft hat und welche Pläne das Unternehmen schmiedet, erzählt Kronenberg im Interview.

Computerworld: Sie sind nun seit vier Jahren CEO von bbv: Was ist Ihr Resümee? Persönlich und geschäftlich?

Philipp Kronenberg: bbv ist in den vergangenen vier Jahren enorm gewachsen. Alleine die Mitarbeiterzahl ist von 185 auf 280 gestiegen. Der Entwicklungsstandort in Vietnam ist mittlerweile voll in die Gruppe integriert und auf 44 Personen gewachsen.

Gleichzeitig haben wir unsere Kundenbasis deutlich verbreitert. Während wir vor vier Jahren noch von einigen wenigen Grosskunden abhängig waren, sind wir heute viel diversifizierter. Das hat auch mit unserer neuen Ausrichtung auf Branchen zu tun. Heute haben wir mehr Kunden, wir sind näher bei ihnen und besitzen eine stabilere Beziehung zu ihnen.

Ein Jahr, nachdem ich den Geschäftsleitungsvorsitz übernommen hatte, hat Adrian Bachofen, Mitgründer und Verwaltungsratspräsident von bbv, die Aktienmehrheit übernommen. Das Ausscheiden seines Geschäftspartners, Marcel Baumann, aus allen operativen Belangen hat damals verständlicherweise für einige Unruhe gesorgt, sodass mein Job kein einfacher war. Ich sehe es als Erfolg an, dass wir gesund und stabil geblieben sind.

CW: Welche Konsequenzen hatte das Ausscheiden von Herrn Baumann?

Kronenberg: Mit Marcel [Baumann] ist ein Experte gegangen, der in der Technologie-Community sehr gut verankert war und sie durch seine Meinung weitergebracht hat. Ein paar Kollegen hatten sich aufgrund seines Weggangs ebenfalls beruflich neu orientiert.

Es folgten einige organisatorische Änderungen. Die implizite CTO-Rolle von Marcel haben wir zu einem CTO-Board ausgestaltet. Derzeit teilen sich drei Personen die technische Leitung. So sind die Aufgaben heute optimal verteilt. Zudem gibt es 16 Fach-Communities, die sich beispielsweise um die Kerntechnologien wie .Net, Embedded oder Java kümmern. Andere befassen sich mit Fragestellungen rund um Cloud, Software-Testing, Blockchain oder auch das Internet of Things. Diese fachliche Diversifikation bringt uns ebenfalls mehr Stabilität.

CW: Was sind Alleinstellungsmerkmale von bbv?

Kronenberg: Nur das fachliche oder technische Know-how sind keine Alleinstellungsmerkmale heute. Wir sehen uns in einer führenden Position bei der Kundenbetreuung, dem methodischen Vorgehen und unseren Qualitätsansprüchen. Und besonders die Realisierung komplexer Software-Lösungen und das Handling schwieriger Projektkonstellationen gehören zu unseren Kernkompetenzen.

CW: Was macht bbv anders als die Marktbegleiter?

Kronenberg: Vor etwa vier Jahren haben wir uns intensiv damit auseinandergesetzt, wie wir uns vom Wettbewerb unterscheiden können. Wir sind zu fünf Kulturprinzipien gekommen, wie wir von unseren Kunden wahrgenommen werden wollen: exzellent, kundenorientiert, leidenschaftlich, mitverantwortlich und respektvoll. Die konsequente Ausrichtung an diesen Prinzipien macht uns einmalig.

CW: Was tut bbv für Exzellenz, Kundenorientierung, Leidenschaft etc.? Können Sie Beispiele nennen?

Kronenberg: Beispielsweise haben wir morgen ein Management-Meeting, in dem wir unsere Methoden und Prozesse im Hinblick auf die fünf Prinzipien hinterfragen. Im Alltag fallen uns Feinheiten auf, etwa, wie wir ein Angebot präsentieren. Auch für jede PowerPoint-Präsentation müssen die Prinzipien gelten.

Zudem haben wir Account-Teams etabliert, in denen alle im Kundenkontakt stehenden Mitarbeiter involviert sind. Und wir fragen die Kunden selbst zu unserer Leistung sowie zu unseren Versprechen.

Philipp Kronenberg

Für den Seilbahnhersteller Doppelmayr/Garaventa hat bbv eine Planungs-Software entwickelt.

 

CW: Welches Mass haben Sie zum Beispiel für die Kundenorientierung?

Kronenberg: Es geht weniger um ein Mass als vielmehr um die Meinung des Kunden, wie er uns wahrnimmt. Hier fragen wir periodisch nach, wie er uns einschätzt und welches Verbesserungspotenzial er sieht. Anschliessend verstärken wir die positiven Aspekte und arbeiten darauf hin, die negativen Punkte abzubauen.

CW: Sie sprachen die Diversifizierung der Kundschaft an. Welche bemerkenswerten Projekte hat bbv in jüngerer Vergangenheit umgesetzt?

Kronenberg: Ein Paradebeispiel ist Thermoplan. Das KMU aus Weggis/LU entwickelt und produziert Kaffeemaschinen für weltweit bekannte Kaffeehausketten und Schnellrestaurants. Mit den Spezialisten von Thermoplan sind wir in einem Cloud-/IoT-Projekt involviert, in dem Tausende Geräte vernetzt werden.

Für die Swiss Automotive Group haben wir im vergangenen Jahr einen neuen Onlineshop realisiert. Das Unternehmen ist einer der grossen Ersatzteilehändler Europas. Ihr Versprechen lautet: Jedes Bauteil wird innerhalb von zwei Stunden in jede beliebige Garage geliefert. Dafür haben wir den Shop nicht nur auf Geschwindigkeit getrimmt, sondern auch noch einige wirklich coole Features eingebaut: Zum Beispiel kann der Garagist für alle gängigen Autotypen per Fahrgestellnummer eine Explosionszeichnung aufrufen. In der Zeichnung identifiziert er beispielsweise die defekte Bremsscheibe per Mausklick. Anschliessend bekommt er sofort angezeigt, ob ein passendes Ersatzteil verfügbar ist. Wenn ja, trifft die Lieferung zwei Stunden später bei ihm ein.

Stolz macht es mich, wenn unsere Expertise oder Software in neuen Produkten bekannter Marken wie Schindler oder Doppelmayr/Garaventa einfliesst. bbv durfte beispielsweise ein Programm schreiben, das Doppelmayr/Garaventa bei der Kalkulation von Seilbahnen hilft. Ingenieure haben die neue Stoosbahn, notabene die steilste Standseilbahn der Welt, auf unserer Software gerechnet. Ebenfalls die CabriO, die mit einem offenen Oberdeck auf das Stanserhorn fährt. Unsere Kollegen in Vietnam haben Freude an der Seilbahn über die Halong-Bucht im Norden des Landes, bei der ebenfalls bbv-Software zum Einsatz kam.

Zur Person

Philipp Kronenberg ist seit Anfang 2014 CEO der bbv Software Services. Zugleich bekleidet er den Posten des CFO, den er zuvor bereits seit elf Jahren innehatte. Kronenberg sammelte Berufserfahrung als Controller und Treuhänder in Industriebetrieben. Er studierte Betriebsökonomie an der Hochschule Luzern und absolvierte eine kaufmännische Ausbildung.

CW: Allenfalls klappt nicht immer alles reibungslos. Können Sie ein Kundenprojekt nennen, das Sie retten mussten?

Kronenberg: Wir werden in diesem Kontext tatsächlich häufig für Beratungen herangezogen. Ausserdem coachen wir Teams, die in verfahrenen Situationen mit speziellen Herausforderungen konfrontiert sind. Ein Beispiel ist die Abrechnungs-Software eines Kunden. Die Lösung hatte der Kunde über mehrere Monate zusammen mit einem anderen Partner entwickelt. Am Ende des Projekts war das System allerdings unvollständig und nicht brauchbar. Dann kamen wir ins Spiel, haben die Architektur und den Code analysiert und einen Vorschlag zur Rettung unterbreitet. Mittlerweile zeichnen wir seit zwölf Jahren für die Weiterentwicklung verantwortlich.

CW: Sie setzen auf Standardtechnologien und Eigenentwicklungen. Welche Vorteile sehen Sie – und welche Herausforderungen?

Kronenberg: Genau genommen setzen wir Standardtechnologien für Individualentwicklungen ein. Zum Beispiel realisieren wir Lösungen mit .Net oder Java, die aber für jeden Kunden eigens zugeschnitten werden. Während die grossen ERP-Anbieter behaupten, fixfertige und umfassende Lösungen zu liefern, zeigt sich im Alltag oftmals, dass geschäftskritische Funktionen doch fehlen. Hier liefern wir individuelle Komponenten. Oder wir entwickeln komplette Systeme, die es dem Kunden erst erlauben, seine Geschäftsidee umzusetzen. Zum Beispiel programmieren wir für Industriekunden komplette Gerätesteuerungen, Software, die man eben nicht irgendwo einfach einkaufen kann. bbv entwickelt diese Lösungen gemeinsam mit dem Kunden. Durch die weitreichende Vernetzung aller möglichen Geräte im Internet of Things (IoT) erwarten wir in diesem Gebiet in Zukunft weiteres Wachstum.

CW: Danke für das Stichwort. Wie sieht Ihr Blick in die Zukunft aus?

Kronenberg: Wir sind heute in zwei Märkten tätig: dem Kunden- und dem Expertenmarkt. Im Kundenmarkt fokussieren wir uns auf wachstumsträchtige Branchen, wie zum Beispiel Medizintechnik und das Gesundheitswesen. Dieses Wachstum bedingt aber, dass wir auch im Expertenmarkt erfolgreich sind. Bei der Suche nach Experten geht es nicht nur darum, Software-Ingenieure zu finden, die kulturell zu uns passen. Wir müssen auch als Arbeitgeber attraktiv bleiben, daher investieren wir viel in Weiterbildung und in interne Communities. Hier kommen die Experten zusammen und tauschen sich über neue Entwicklungen auf ihren jeweiligen Gebieten aus. Bei Themen mit grosser Bedeutung konstituieren sich auch selbstständig neue Communities, beispielsweise für IoT oder Blockchain.

Philipp Kronenberg

Philipp Kronenberg von bbv sieht das Rekrutieren von Fachleuten als grosse Herausforderung.

 

CW: Rekrutieren Sie auch die viel gesuchten Spezialisten in Schweizer Communities?

Kronenberg: Ja. Denn der Expertenmarkt ist mittlerweile viel herausfordernder als der Kundenmarkt. Wir haben in der Schweiz einen enormen Bedarf an Software-Ingenieuren. Durch die demografische Entwicklung wird sich die Situation in den nächsten Jahren noch verschärfen. Bei meinen Kindern sehe ich mittlerweile, dass das Interesse an den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) schon in der Primarschule gefördert wird. Das war natürlich nicht immer so. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mussten noch ohne die MINT-Grundbildung auskommen. So entsteht eine grosse Lücke, weil der Informatiknachwuchs fehlt.

Die nächste Herausforderung entsteht durch die Attraktivität des Standorts Schweiz: Einerseits ist es super für den Standort sowie den Stellenwert von Software-Entwicklung in der Schweiz, wenn sich globale Tech-Firmen hier ansiedeln. Andererseits wird die Situation für uns Schweizer KMU schwieriger, wenn Grosskonzerne wie Google weitere 2000 Experten anstellt – auch wenn sie die Spezialisten teilweise aus dem Ausland rekrutieren müssen. Dadurch haben wir noch mehr Hausaufgaben zu machen, um die guten Leute für uns zu gewinnen.

«Personalverleih ist schwierig, weil das Hauptgewicht auf dem Preis liegt.»

Philipp Kronenberg, bbv

CW: Welchen Wert haben Kununu und Auszeichnungen wie Best Places to Work in der Rekrutierung?

Kronenberg: Wir haben lange Jahre am «Swiss Arbeitgeber Award» von Cash teilgenommen und waren dort immer auf den Top-Plätzen. Irgendwann hat der Wettbewerb seinen IT-Fokus verloren – und damit für uns an Wert. Inzwischen setzen wir auf andere Möglichkeiten wie zum Beispiel Kununu. Wir haben uns sehr früh bei Kununu registriert und fortlaufend Bewerber und Mitarbeiter um eine Bewertung gebeten. Dieser über Jahre gewachsene Fundus an Beurteilungen ist ein extrem wertvolles Asset geworden. Denn in der ICT prüft mittlerweile jeder Kandidat, wie der potenzielle Arbeitgeber bewertet wird. bbv ist im Branchenvergleich überdurchschnittlich gut bewertet.

Daneben schauen wir uns immer neue Angebote und Plattformen an. Die Prüfung durch das Best Places to Work Institute haben wir evaluiert, aber für zu teuer befunden. Kununu bietet ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis.

CW: Auf Kununu wird bbv fast ausschliesslich für das Personalverleihgeschäft kritisiert. Wie relevant ist dieses Geschäft für Ihr Unternehmen?

Kronenberg: Das variiert. Wir hatten in der über 20-jährigen Firmengeschichte Phasen, in denen 70 Prozent der Belegschaft bei Kunden gearbeitet hat. Mittlerweile fahren wir aber eine klare Strategie Richtung Gesamtprojektverantwortung. Trotzdem ist der Personalverleih in bestimmten Konstellationen sehr wichtig. Wir sind aktuell strategischer Partner der Stadt Zürich, vom Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) und den SBB, bei Letzteren im Bereich Software-Testing.

Die Schwierigkeit bei diesen Ausschreibungen ist die Tatsache, dass das Hauptgewicht auf dem Preis liegt. In den letzten Jahren sind mehrere ausländische Firmen in den Schweizer Markt eingetreten, die ganz andere Preise anbieten können als ein Schweizer Unternehmen. Allerdings gibt es in meiner Wahrnehmung bei den ausländischen Firmen ein ums andere Mal ein Problem mit dem Bereitstellen der Services. Ein Grund dürfte sein, dass auch die Mitarbeiter aus dem Euroraum realisieren, dass sie in der Schweiz mit höheren Lebenshaltungskosten kalkulieren müssen. Dann können nicht immer alle Leistungen in der Menge und der Qualität geliefert werden, wie sie eingekauft wurden.

CW: Was fehlt aktuell im Portfolio von bbv?

Kronenberg: Wir sind tatsächlich gerade dabei, eine Lücke in unserem Portfolio zu schliessen: Uns fehlte bis anhin eine Nearshoring-Option.

CW: Was ist mit der Niederlassung in München?

Kronenberg: München ist unser Hub für den deutschen Markt. Wir haben dort hervorragend ausgebildete Kollegen. Die Schweizer Kunden akzeptieren München allerdings nicht als Shoring-Standort. Deshalb wollen wir in diesem Jahr unser Portfolio um eine Nearshoring-Option im europäischen Raum erweitern.

Interview: Mark Schröder, Computerworld

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