2024 wird China der grösste IoT-Markt der Welt sein. Zu diesem Schluss gelangt das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IDC in seinem Bericht «2020 V2 global Internet of things expenditure guide». So sollen Chinas IoT-Ausgaben bis 2024 rund 300 Milliarden Dollar erreichen – was knapp 27 Prozent der weltweiten IoT-Ausgaben entsprechen wird. Daher lockt China auch vermehrt Schweizer Unternehmen, die im Reich der Mitte eigene IoT-Vorhaben realisieren wollen.
Doch: Die Expansion nach China ist für IT-Unternehmen keine leichte Aufgabe. Wer in China mit IoT- und cloudbasierten Services Fuss fassen will, hat gleich mehrere Hürden zu bewältigen. Folgende Punkte müssen bei der Expansion nach China unbedingt bedacht werden:
Die «Great Firewall of China»
Die sogenannte «Great Firewall of China» wurde bereits im letzten Blog-Artikel zu China thematisiert: Bekanntlich machen sich die Restriktionen der chinesischen Regierung gerade bei dieser Art der Überwachung deutlich bemerkbar:
- Gewisse Internet-Services aus dem Westen sind in China schlichtweg blockiert. Etwa soziale Netzwerke wie Facebook, aber auch sämtliche Google-Services. Darunter auch der Zugriff auf Google Firebase, ein Service, der gerade für die Realisierung von Push-Nachrichten gerne verwendet wird – sowohl für Android als auch für iOS. Deshalb wird für Google Firebase eine Ersatzlösung mit denselben Funktionalitäten notwendig. Und auch für das Content Delivery Network von Google müssen Alternativen gefunden werden.
- Zwar lassen sich von China aus Backends in Europa hosten. Allerdings verursacht die «Great Firewall of China» sehr hohe Latenzzeiten. Ausserdem ist die Verbindung sehr eigenwillig und funktioniert nicht immer einwandfrei.
- VPN-Verbindungen funktionieren zwar gut, allerdings werden entsprechende Services zunehmend von den chinesischen Behörden blockiert. User sind hier auf offizielle, von der chinesischen Regierung zertifizierte VPN-Anbieter angewiesen.
Chinesische Anbieter als Alternative?
Durch diese Herausforderungen treten schon bald chinesische Anbieter auf den Plan: Für die Realisierung von Push-Nachrichten halten Anbieter wie Baidu, Betreiber der gleichnamigen und grössten Suchmaschine Chinas, einen entsprechenden Service bereit. In der Praxis hat sich aber auch das Software Development Kit Pushy.me bewährt – sowohl in China als auch im Rest der Welt. Provider wie Appinchina.co bieten für die App-Entwicklung zudem umfassende Dienstleistungen an. Unter anderem die Übersetzung der Inhalte ins Chinesische, Compliance-Abklärungen, aber auch Unterstützung bezüglich User Experience, bei der sich chinesische Apps oftmals von jenen aus dem Westen unterscheiden.
Für die zuverlässige Datensynchronisierung zwischen China und dem Rest der Welt stellen chinesische Telkos wie China Telecom dedizierte Standleitungen via Multi Protocol Label Switching (MPLS) zur Verfügung. Der Haken: Solche Lösungen sind sehr teuer. Gemäss Recherchen der Software AG können sich die Kosten auf über 100’000 Franken pro Jahr belaufen. Ausserdem ist für den firmeninternen Datenaustausch über MPLS eine Genehmigung der Cyberspace Administration of China (CAC) erforderlich. Der Datenaustausch muss dokumentiert und der CAC jährlich gemeldet werden, wobei die Aufbewahrungsfrist der Dokumentation fünf Jahre beträgt.
Partnerschaften für lokales Hosting
Aufgrund der hohen Latenzzeiten beim Datenverkehr durch die «Great Firewall» bietet sich ein lokales Hosting in China an. Doch wer innerhalb von China eine Web-App oder eine Website hosten will, muss zwangsläufig eine Internet-Content-Provider-Lizenz (kurz ICP-Lizenz) beantragen. Für westliche Firmen ist dies praktisch ein Ding der Unmöglichkeit: Für die ICP-Registrierung muss sich das Unternehmen mehrheitlich in chinesischem Besitz befinden. Eine Niederlassung in China zu errichten, reicht also nicht aus. So sind westliche Unternehmen unweigerlich auf chinesische Partner angewiesen, die bei solchen bürokratischen Aufgaben auch unterstützen und Sprachbarrieren zwischen China und dem Westen abbauen können.
Datenhaltung nach chinesischen Vorschriften
2017 ist in China ein neues Cybersecurity-Gesetz in Kraft getreten, das besagt, dass keine personenbezogenen oder kritischen Daten das Land verlassen dürfen. Während für personenbezogene Daten wohl ein Vergleich zur uns vertrauten DSGVO gezogen werden kann, bleibt offen, was die chinesischen Behörden unter «kritischen» Daten genau verstehen. Dies stellt Unternehmen, die in China tätig sein möchten, vor grosse Herausforderungen – insbesondere dann, wenn man Kunden den Datenzugriff und -schutz vertraglich zusichern soll.
Für IoT-Daten beispielsweise von Maschinensensoren wie Temperaturmessungen, Luftfeuchtigkeit, Vibration ist dieses chinesische Datenschutzgesetz zumeist unkritisch. Vorsicht geboten ist dagegen bei der Authentisierung und beim Support, da dort personenbezogene Daten anfallen könnten – etwa eine E-Mail-Adresse oder Telefonnummer. Deshalb sollte für die eigene IoT-Lösung in China auch ein dediziertes Team aufgebaut werden, dass vor Ort Managed Services wie Installation, Wartung, Support, Incident Management übernehmen kann.
Welcher Cloud-Anbieter eignet sich am besten?
Im Westen bekannte Hyperscaler wie Microsoft oder Amazon sind zwar auch in China vertreten. Doch Azure China und AWS China werden nicht von Microsoft oder Amazon selbst betrieben, sondern von chinesischen Partnerunternehmen. Und: Es handelt sich bei beiden Lösungen um eigenständige, dedizierte Clouds, die nicht Teil der im Westen bekannten Clouds Azure und AWS sind. Unternehmen gehen also keine Verträge mit Amazon oder Microsoft, sondern mit diesen lokalen Partnerfirmen ein. Bestehende Logins für AWS und Azure funktionieren nicht für die chinesischen Clouds, sondern es braucht neue Registrierungen; und der Funktionsumfang der chinesischen Cloud-Pendants ist keineswegs vergleichbar mit den uns vertrauten Lösungen aus den USA.
Daher lohnt es sich, auf einen der grossen chinesischen Cloud-Anbieter auszuweichen: Alibaba, Baidu oder Tencent bieten ein umfassendes Angebot an Enterprise-Cloud-Services und stellen daher eine sinnvolle Alternative zu den chinesischen Varianten von AWS und Azure dar. Vorsicht geboten ist dagegen bei Huawei: Wer die Cloud-Services von Huawei nutzt, gleichzeitig aber auch im amerikanischen Markt tätig ist, gerät unter Umständen in Konflikt mit dem von der US-Regierung auferlegten Embargo gegen den chinesischen Tech-Konzern.
App Store ist nicht gleich App Store
Für IoT-Anwender können Apps ein sinnvolles User Interface darstellen. Für deren Distribution ist man schliesslich auf entsprechende App Stores angewiesen. Während im Westen der Apple App Store und der Google Play Store praktisch das ganze Spektrum an mobilen Apps abdecken, setzt China wiederum auf andere Plattformen: Es gibt zwar einen chinesischen Apple App Store – der aber auch dediziert für China eingerichtet und entkoppelt vom uns bekannten Apple App Store ist. Möchte man eine iOS App sowohl im Westen als auch in China bereitstellen, muss sie also auf beiden App Stores hochgeladen werden.
Noch komplizierter gestaltet es sich bei den Android-Apps: Der Markt in China ist äusserst fragmentiert, es gibt dutzende entsprechender App Stores. Zu den grössten zählen dabei der Huawei App Store mit 300 Millionen monatlich und 30 Millionen täglich aktiven Nutzern, gefolgt von den App Stores von Tencent und Oppo. Je nachdem, wie viele unterschiedliche Geräte die chinesischen End User nutzen, sollte die eigene App bei zwischen drei und 15 verschiedenen App Stores vertreten sein. Ebenfalls gilt es zu prüfen, ob die eigene App nicht schon auf den chinesischen App Stores angeboten wird: Nicht selten werden Apps illegal aus den westlichen Stores heruntergeladen, mit Malware versehen und anschliessend in den chinesischen App Stores wieder bereitgestellt.
Planen auch Sie eine Expansion in den chinesischen Markt? Unsere Experten unterstützen Sie gerne bei der Suche nach einer idealen Lösung. Weitere Informationen zum Thema gibt es zudem in der Aufzeichnung unseres Webinars zum Thema «Cloud & IoT in China».
Der Experte
Martin Egloff
Martin Egloff ist Business Area Manager in den Bereichen Medtech und Industrie. Er kennt die speziellen Entwicklungsprozesse im medizinischen Umfeld und verfügt über langjährige Erfahrung in interdisziplinären Entwicklungs- und Beratungsprojekten in den Bereichen Software, Hardware, Maschinenbau und Consulting.
Der Experte
Roland Krummenacher
Roland Krummenacher war Cloud-Experte bei bbv. Während seiner Zeit bei bbv hat er über 40 Unternehmen zu Cloud-Themen beraten und in diversen Cloud-Projekten die technische Verantwortung getragen. Er war Microsoft Most Valuable Professional (MVP) für Azure und leitete die Cloud-Community von bbv.