Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten zur Begegnung. Braucht es da heute noch physische Räume?
Dirk Hoffmann: Unbedingt, denn die physische Begegnung ist heute und vor allem in Zukunft erst recht wichtig. Bei Firmen, die sehr erfolgreich im Digitalisierungsgeschäft unterwegs sind, entstehen Innovationen fast immer in kreativen Umgebungen, sogenannten Open Innovation Labs. Durchbruchsinnovationen entstehen in den seltensten Fällen dann, wenn sich jemand in eine Kammer einschliesst und nachdenkt.
Adrian Bachofen: Die Herausforderungen, denen sich Unternehmen heute stellen müssen, haben zugenommen. Wir sind globalisierter und transparenter geworden und die Bedürfnisse der Menschen verändern sich rasant. Es wird immer schwieriger, dass ein Unternehmen alle Ansprüche allein erfüllen kann. Die Vertrauensfrage ist essenziell. Es braucht Institutionen wie diese, die als Bindeglieder funktionieren, wo sich die Menschen real begegnen und kennenlernen können. Hier wird Vertrauen aufgebaut.
Ganz ohne Digitalisierung?
Adrian Bachofen: Nein, natürlich nicht. Digitale Hilfsmittel ergänzen den Aufbau von Vertrauen und sind viel effektiver darin, die richtigen Menschen zusammenzubringen. Der Strategiefit ist dabei wichtig. Darum bauen wir im Moment ein Digital Innovation Ecosystem für den Innovationspark Zentralschweiz auf. Nicht zuletzt werden so die Spielregeln transparenter und der Einstieg einfacher, was wiederum das Tempo der Entwicklung steigert.
Im Innovationspark arbeiten Firmen, die im freien Markt Konkurrenten sind, gemeinsam an Problemlösungen. Erleben wir das Ende der Konkurrenz?
Dirk Hoffmann: Die klassischen Branchengrenzen und proprietäre Schutzzonen lösen sich ganz klar auf, auch im täglichen Wettbewerb. Klassische
Unternehmen sind heute nicht in erster Linie vom traditionellen Mitbewerber gefährdet, sondern von digitalen Quereinsteigern.
bbvLab – Wachstum durch «Ecosystem Economy»
Im bbvLab entdecken Kunden neue Geschäftsmöglichkeiten über das Kerngeschäft hinaus. Es inspiriert Strategieverantwortliche von Unternehmen und hilft ihnen, die eigene Perspektive zu erweitern, mit erstklassigen bbvLab-Experten profitable Business Cases zu entwerfen und diese in Piloten zu überführen – interdisziplinär, co-kreativ, konkret und in einer Atmosphäre des Vertrauens. bbvlab.bbv.ch
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Dirk Hoffmann: V-Zug – wo ich bis vor Kurzem CEO war – baut nicht die ganze Küche. Es braucht Küchenbauer, es braucht Energie, Wasser und so weiter. Um eine optimale Küchenlösung aus Kundensicht zu entwerfen, braucht es die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Adrian Bachofen: Komplementär zusammenzuarbeiten wie in diesem Beispiel, ist sicher einfacher als die Zusammenarbeit zwischen zwei Firmen, die im gleichen Markt unterwegs sind. Man weiss allerdings, dass man heute auch mal sein eigenes Geschäftsmodell kannibalisieren muss, weil es sonst ein anderer tut. Dieser Ansatz zwingt uns manchmal, mit Konkurrenten zusammenzuarbeiten – um die bereits genannten Quereinsteiger auszubremsen.
Das tönt alles sehr einfach: Man kommt in den Innovationspark und entwickelt gemeinsam neue Ideen. Wo liegen die Probleme?
Adrian Bachofen: Letztlich ist es eine Kulturfrage. Es ist eine wichtige unternehmerische Aufgabe, die Kultur so weiterzuentwickeln, dass sie diese Art der Innovation stützt und nicht verhindert. Diese Aufgabe ist aber oft schwieriger als Veränderungen an der Organisation, der Strategie oder der Vision.
Dirk Hoffmann: Du sagst das sehr richtig. Wir verändern die Art, wie wir miteinander arbeiten – intern wie extern. Widerstände sind vor allem durch Existenzängste getrieben: Wie verändert sich mein Arbeitsplatz? Wird es ihn überhaupt noch geben? Und da ist auch der Stolz auf die Firmengeschichte: Wir sind seit 100 Jahren erfolgreich, warum sollten wir uns verändern?
Wie bringt man den Innovationsschwung aus dem Innovationspark oder von einem Innovationslab in die Firma? Die Gefahr besteht, dass sich die beiden Kulturen gar nicht mischen und der Schwung verpufft.
Dirk Hoffmann: Diese Gefahr besteht. Es ist wichtig, dass die Mitarbeitenden in den Innovationsprojekten gut verankert bleiben in der Firma und dass sie dort an den unterschiedlichsten Projekten mitarbeiten. So entsteht ein viraler Effekt. Als wir bei V-Zug ein Lab gründeten, waren wir anfangs mit viel Skepsis konfrontiert. Diese wich bald der Neugier. Heute wollen (fast) alle mit dabei sein und es ist ein interner Wettbewerb entstanden, welche Abteilung innovativer ist.
Wie muss man sich die Entwicklung innovativer Ideen konkret vorstellen? Arbeitet man mit bestimmten Methoden oder überlässt man alles dem kreativen Zufall?
Adrian Bachofen: Zuvorderst steht die Kundenorientierung. Man muss wahrnehmen, wo der Bedarf des Kunden liegt – und zwar nicht heute, sondern morgen. Auf dieser Basis kreiert man Ideen, die vielleicht auf den ersten Blick quer in der Landschaft stehen. Das geht mit dem nötigen Freiraum besser als unter dem Druck des Daily Business. In der Konkretisierungsphase muss sich dann zeigen, ob die Idee etwas taugt oder verworfen werden muss. Diese Phase ist zentral: Jede Idee muss auf Herz und Nieren geprüft werden.
«Zuvorderst steht die Kundenorientierung. Man muss wahrnehmen, wo der Bedarf des Kunden liegt – und zwar nicht heute, sondern morgen.»
Adrian Bachofen, bbv
Wie viele Ideen sollen überleben?
Adrian Bachofen: Die Mortalitätsrate muss hoch sein! Zwei Drittel müssen sterben, sonst stimmt etwas nicht.
Aber auch in die schlechten Ideen muss man Zeit und Geld investieren …
Adrian Bachofen: Aber klar! Nur so geht es.
Dirk Hoffmann: Man muss für einen solchen Prozess die richtigen Leute zusammenbringen. Es braucht die richtige Mischung aus Geschlechtern, Alter, Fähigkeiten, Wissen, Zukunftsfähigkeit und Kundensicht. Und was ganz wichtig ist: Es braucht Störer, welche die unangenehmen Fragen stellen. Die Vorstellung, dass Innovationsprozesse undiszipliniert oder gar verspielt sind, ist völlig verkehrt. Das ist ein hochenergetischer Prozess.
Haben Sie ein Beispiel?
Dirk Hoffmann: Wir setzten mal ein Team in einen leeren Raum mit dem Auftrag, das Wäschepflege-Geschäft von V-Zug zu zerstören.
Und das Resultat?
Dirk Hoffmann: Eine dreistellige Anzahl von Ideen. Mit hoher Mortalitätsrate, aber mit einem riesigen Impuls für den Rest der Firma.
Reicht ein leerer Raum, um Innovation zu fördern?
Adrian Bachofen: Man muss in erster Linie Leute zusammenbringen, die zueinander passen, die Chemie muss stimmen. Der Rest ergibt sich fast von selbst. Weitere Unterstützung erhöht dann die Erfolgschance und die Geschwindigkeit weiter.
Wie transparent ist die Arbeit, die hier geleistet wird? Sie propagieren ja Open Innovation.
Dirk Hoffmann: Im Grundsatz ist alles transparent – ausser die Mitglieder bestimmen selbst etwas anderes. Wir regeln in unserem Code of Conduct, wie mit geistigem Eigentum umgegangen werden soll. Klar ist, dass diese Entscheidungen gemeinschaftlich innerhalb des Projektteams getroffen werden.
Adrian Bachofen: Diese Offenheit ist der Geist, in dem Innovationspark und bbvLab funktionieren.
Der Experte
Adrian Bachofen
Adrian Bachofen ist Mitbegründer und Verwaltungsratspräsident der bbv Group AG. Als Unternehmer legt er grossen Wert auf Innovationen und berät Verwaltungsräte, Entrepreneurs und Investoren in Visions-, Strategie- und Digitalisierungsthemen. Sein Fokus liegt auf intelligenten Business Ecosystems und Plattform-Strategien. Er ist Vorstandsmitglied des Innovationsparks Zentralschweiz und des Technologie Forum Zug.
Der Experte
Dirk Hoffmann
Dirk Hoffmann ist Präsident des Vorstands des Innovationsparks Zentralschweiz. Er wurde nach Führungspositionen bei Bosch, Siemens und V-Zug Verantwortlicher für strategische Projekte der Metall Zug Gruppe. Dirk Hoffmann verfügt über langjährige internationale Erfahrung und einen umfassenden Leistungsausweis in der produzierenden Industrie.
Innovation Workshops
Die bbv Innovation Workshop Serie bietet Ihnen ein ideales Format, um Geschäftsideen zu verschiedenen technologischen und methodischen Trendthemen schneller zu finden und zu entwickeln. Jeder Workshop besteht aus drei Modulen, in denen wir Sie strukturiert von der Idee bis zum Business Case begleiten.
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