Microsoft eröffnet dieses Jahr zwei Datencenter in der Schweiz. Welche Vorteile ergeben sich daraus für Schweizer KMU, welche Services werden angeboten und wie kann die Cloud dazu beitragen, Software effizient zu modernisieren? Stefano Mallè, CTO bei Microsoft Schweiz, beantwortete diese und weitere Fragen im Interview mit Markus Holzner, Business Area Manager bei bbv.
Welche Vorteile bringen die Schweizer Datencenter von Microsoft den Schweizer Kunden in Bezug auf technologische Innovationen?
Stefano Mallè: In Bezug auf Innovationen gibt es keinen Unterschied zu den anderen Microsoft Datencentern weltweit, da die Technologie dahinter dieselbe ist. Der grosse Vorteil der Schweizer Datencenter ist, dass die Daten der Kunden in der Schweiz liegen. Durch den lokalen Standort werden die Latenzzeiten noch etwas kürzer sein. Da die beiden Datencenter rund 200 Kilometer voneinander entfernt liegen, ergibt sich ein herausragendes Setup für Disaster Recovery und Business Continuity innerhalb der Schweizer Grenzen.
Welche Vorteile bringt es dem Schweizer Mittelstand, geschäftskritische Applikationen mit Azure-Services zu entwickeln und zu betreiben?
Stefano Mallè: Die Cloud eröffnet den Schweizer Unternehmen stetig neue Möglichkeiten. Die digitale Transformation in Unternehmen hat viele Facetten – eine davon ist kontinuierliche Innovation. Um damit beispielsweise Prozesse zu vereinfachen und Dienstleistungen für Kunden zu verbessern.
Cloud Provider wie Microsoft bringen beinahe täglich neue Möglichkeiten in die Cloud. Mit dem Schritt in die Cloud können Unternehmen diese Innovationen sofort für ihre Produkte und Dienstleistungen einsetzen. Sind die Daten eines Unternehmens einmal in der Cloud, lassen sich beispielsweise die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz relativ einfach nutzen. Das ist sehr spannend und befähigt Schweizer Unternehmen, ihre Produkte und Dienstleistungen innovativ weiterzuentwickeln, Prozesse zu optimieren und Kosten zu reduzieren.
Welche Azure-Services haben aus deiner Sicht das grösste Potenzial?
Stefano Mallè: Künstliche Intelligenz, Machine Learning oder Cognitive Services erweitern die Möglichkeiten von Software massgeblich und erlauben, ganz neue Dinge zu tun. Sie ermöglichen eine neue Art von Applikationen zu bauen und eine neue Art von Interaktion mit dem Benutzer zu integrieren – wie zum Beispiel die Erstellung sogenannter Chatbots. Diese Services bieten ein grosses Potenzial, um Applikationen und Dienstleistungen intelligenter und benutzerfreundlicher zu gestalten.
Oft ist aber die Software-Modernisierung das drängendere Problem…
Stefano Mallè: Insbesondere in der Software-Modernisierung setzen diese Services neue Akzente. Die Software-Modernisierung, die Adaption von Microservice-Architekturen und die Etablierung einer ausgereiften DevOps-Kultur leisten einen Schlüsselbeitrag zur Geschäftstransformation. Entscheidend ist dabei, dass Business-Vertreter und Software-Ingenieure eng zusammenarbeiten, damit das volle Potential der Cloud zur Verfügung steht.
Worauf ist dabei zu achten?
Beim Modernisieren von Software in der Cloud sind folgende Faktoren besonders wichtig:
- Die Silos einer monolithischen Applikation in Microservices aufbrechen.
- Die DevOps-Kultur von der Idee bis zum Betrieb konsequent anwenden.
- Die Infrastruktur im virtuellen Datacenter durch Scripts und Code implementieren.
Darüber hinaus gibt es in der Praxis eine zunehmende Bedeutung von «Security as Code». Wenn DevOps-Teams diese Erfolgsfaktoren beachten, sind sie in der Lage, Software sehr effizient und zukunftsweisend zu modernisieren. Kunden profitieren dabei von Speed, Agilität und innovativen Lösungen.
Speed ist ein wichtiger Bestandteil dieser Philosophie?
Ja! Im Gespräch mit Kunden frage ich oft: Haben Sie heute schon ein Deployment gemacht? Wie oft machen Sie ein Deployment? Meine Kernaussage damit ist: «Only what you deploy matters. Only what you put into production matters.» Denn der einzige Weg, um Produktivität und Agilität im Zusammenhang mit neuen Funktionen zu messen, ist, wie oft Sie in der Lage sind, Neuerungen in den Betrieb zu bringen.
Die Entwicklungsgeschwindigkeit zu erhöhen und die Anzahl von Deployments zu steigern, wird aber nur gelingen, wenn mit Microservices gearbeitet wird, wenn DevOps gelebt wird und die Infrastruktur virtuell mit Code aufgebaut ist. Wer diese Komponenten kombiniert, ist in der Lage, Software auf moderne Weise zu erneuern und zu bauen.
Du siehst die Cloud also als «Enabler» für effiziente und innovative Software-Modernisierung?
Stefano Mallè: Ja, genau. Die Cloud ermöglicht effiziente Software-Modernisierung und die einfache Adaption von kontinuierlichen Innovationen. Die Azure-Services bieten alles, was es braucht, um Software nachhaltig zu modernisieren. Ich würde heute alles in der Cloud machen, ausser wenn eine Regulierung vorgibt, dass Daten in einem internen Datencenter gehalten werden müssen – oder wenn es Offline-Szenarien gibt.
In Bezug auf die Software-Modernisierung bietet die Cloud zudem den wichtigen Vorteil des «right sizing». Infrastruktur wird nicht für den Peak ausgerichtet, den es punktuell gibt. In der Cloud kann einfach das benutzt werden, was tatsächlich gebraucht wird. Unsere Kunden können jederzeit auf grössere Maschinen wechseln oder horizontal skalieren – je nachdem, in welcher Situation sie sich befinden. Bezahlt wird immer nur das, was sie wirklich brauchen.
Die hohe Volatilität auf der Azure-Plattform ist einerseits eine Chance, weil es laufend neue Möglichkeiten gibt und alles topaktuell ist, aber auch ein Hindernis für manche Kunden, weil Cloud-Services sich verändern oder unter Umständen abgekündigt werden können. Wie bietet Microsoft Kunden eine langfristige Planungsgrundlage?
Stefano Mallè: Es ist das Ziel von Microsoft, den Kunden so viel Innovation wie möglich zur Verfügung zu stellen – und zwar auf möglichst einfache Weise. Wir nennen das «Software Democratization». Zusätzlich garantieren wir, dass unsere Services langjährig laufen, damit sich die Kundeninvestitionen in unsere Technologien langfristig auszahlen. In unseren «Online Terms of Services» und «Service Level Agreements» haben wir alle wichtigen Informationen zu den Verfügbarkeiten der Azure-Service veröffentlicht. Diese bieten unseren Kunden eine verlässliche Planungsgrundlage. Zusammengefasst bietet die Azure-Plattform eine stabile Grundlage für Schweizer Unternehmen, um ein zukunftsweisendes Portfolio digitaler Services aufzubauen.
Ein weiterer Vorbehalt, den Kunden nennen, ist der «vendor lock-in».
Stefano Mallè: Aus meiner Sicht sehe ich hier keine Unterschiede, ob Applikationen und Daten «on premise» oder «in the cloud» sind. Wir stellen herstellerunabhängige Konnektoren zur Verfügung und bieten zudem eine Menge an Open Source Software an, um flexibel zu kombinieren. Weiter erlauben es unsere hybriden Modelle, die alte und die neue Welt miteinander zu verschmelzen. In diesem Kontext ist die «Containerization» in regulierten Industriezweigen ein interessanter Trend. Container laufen überall, also «in the cloud» und «on premise». Kunden können über Container eine gewisse Unabhängigkeit von den Herstellern erreichen, da diese in sich geschlossene Deployment-Einheiten sind. Meine Empfehlung ist hier: «do it at best for each environment» – die Orchestrierung, die Installation und die Automatisierung ist für jede Cloud spezifisch zu definieren.
Welches sind die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren, um geschäftskritische Applikationen mit Azure-Services zu modernisieren?
Stefano Mallè: Aus meiner Sicht sind das:
- Erfahrene Cloud-Experten, die wissen, wie die Cloud richtig eingesetzt wird.
- Die Infrastruktur und Services einer Applikation müssen «cloud native» sein. Nur wenn dies gegeben ist, können die Vorteile der Cloud auch wirklich genutzt werden.
- Partner, wie die bbv, die Schweizer Unternehmen dabei unterstützen, dies alles richtig anzugehen und umzusetzen.
Und welches sind die typischen Fehler, die regelmässig passieren?
Stefano Mallè:
Ich treffe manchmal auf Situationen, in denen Kunden einfach versuchen etwas in der Cloud zu machen, was sie bis anhin «on premise» taten. Doch dieser Ansatz bringt oft keine oder nur wenige Vorteile. Bei der Modernisierung von Software mit der Cloud sind die erwähnten Erfolgsfaktoren entscheidend, um den maximalen Business-Nutzen zu erzielen. Darüber hinaus sind neue Cloud-Betriebsmodelle und eine Cloud-Governance erforderlich, damit die Cloud zuverlässig leisten kann, was sie verspricht.
Welche Schlüsselkompetenzen und Skills braucht es, um Enterprise-Applikationen mit Azure-Services erfolgreich zu modernisieren?
Stefano Mallè: Natürlicherweise benötigt es unterschiedliche Kompetenzen – entsprechend den Anforderungen an die Applikation. Ein Beispiel: Die Cloud macht es einfacher, Künstliche Intelligenz – wie Machine Learning – in Applikationen zu integrieren. Je nach Anforderung braucht es aber erfahrene Data Scientists, die mithelfen, Machine Learning auf das geforderte Niveau zu heben, damit die Geschäftsidee erfolgreich in die Tat umgesetzt werden kann.
Allgemein sind die folgenden Kompetenzen wichtig:
- Cloud-Architekten sind zentral. Wichtig ist, dass die Architekten das Business verstehen, damit sie die Applikation auf eine Weise entwerfen, die das volle Potenzial der Cloud ausnutzt.
- DevOps ist eine weitere Schlüsselkompetenz, die sehr wichtig ist.
- Zudem braucht es «Platform Engineers», die wissen, wie virtuelle Datencenter aufgebaut und betrieben werden. Platform Engineers verfügen über das Wissen eines System Engineers und können dieses Wissen auf virtuellen Umgebungen mittels Codes anwenden. Dazu gehört auch die Codeverwaltung, Test Driven Development und Application Lifecycle Management.
Welches ist der spannendste Schweizer Business Case auf Azure, den du bis jetzt gesehen hast?
Stefano Mallè: Wir haben jede Menge interessanter Business Cases. Ein faszinierendes Beispiel ist die Cloud-Plattform «Bühler Insights™» der Bühler AG. Der Case zeigt anschaulich, wie Künstliche Intelligenz und Blockchain konkret eingesetzt werden, um die Qualität und Transparenz in der Wertschöpfungskette zu erhöhen und massive Kosteneinsparungen zu erreichen.
Der Experte
Stefano Mallè
Stefano Mallè war bis Mai 2020 CTO bei Microsoft Schweiz. Der studierte Informatiker arbeitete zuerst im Schweizer Finanzsektor, ehe er 2003 zu Microsoft kam. Er hat mehr als 10 Jahre Erfahrung mit Anwendungen auf Microsoft Azure und seit 2018 unterstützt er als CTO IT-Entscheider bei der Einführung von Cloud Computing.