Was Kunden künftig wollen

Pferde mit Stärken

Die wirtschaftliche Unsicherheit und neue Arbeitsformen prägen die Projektagenda sowie die Kundenansprache. Neue Zugpferde ziehen das Business aus der Corona-Misere. Für diesen Artikel hat Computerworld Philipp Kronenberg, CEO der bbv, und verschiedene Leistungsträger der ICT-Branche interviewt (erschienen in der CW 08/2020; gekürzte Fassung).

17.09.2020Text: tnt-graphics0 Kommentare
ICT Corona_Pferde

Krisen waren schon immer ein Katalysator für Entwicklungssprünge. Das ist auch bei der Corona-Krise der Fall. Das Virus hat uns aus heiterem Himmel getroffen und viele dazu gezwungen, Prozesse voranzutreiben, über die man bis jetzt kaum nachdachte. Alle Pläne und Prioritäten, die im Januar und Februar definiert wurden, seien nun zur Makulatur verkommen, heisst es beispielhaft beim Fachverband swissICT.

Digitalisierungsbooster Corona

Die von Computerworld befragten Unternehmen in der IT-Branche profitieren aber auch von der Situation. Corona wird zum Zugpferd. Adesso Schweiz vermeldet zum Beispiel eine höhere Nachfrage nach Cloud-Lösungen. Im Kundenkontakt seien Chat und Telefonbots gefragt sowie KI-gestützte Systeme, die E-Mails und Dokumente automatisiert verarbeiten. Roman Hugelshofer, Managing Director Application Security und Geschäftsleitungsmitglied von Ergon, konstatiert einen vermehrten Einsatz von digitalen Mitteln in Schulen und einen boomenden bargeldlosen Zahlungsverkehr. Dies könnte kaum jemand besser bestätigen als Markus Fuhrer, Leiter IT & Operations und Krisenmanager beim Finanzdienstleister PostFinance. Fuhrer stellt fest, dass die Nutzungszahlen der Bezahl-App Twint durch Corona explosionsartig in die Höhe schnellten, da seither viel mehr online eingekauft wird. Der Anteil an bargeldlosen Zahlungen mit der PostFinance Card habe ebenfalls zugenommen.

ICT CoronaDen Betrieb am Laufen halten

ELO-Manager Mosbach führt aus, dass die Kunden seit dem Ausbruch der Corona-Krise vor allem wissen wollen, wie die Organisation und Prozesse am Laufen gehalten werden können. «Oft konnten die Massnahmen zur Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben und virtuellen Lösungen nicht schnell genug gehen», sagt Mosbach. Der Sicherheitsanbieter InfoGuard erhielt viele Anfragen zum Thema Services, sicheres Home Office und Kollaboration.

Ein zentrales Thema bei den Kunden von itesys ist Business Continuity, wie Tanja Schöller mitteilt, Head of Marketing & Business Development Manager von itesys. Viele der Kunden würden sich nun vermehrt Gedanken darüber machen, ob der Betrieb ihrer kritischen SAP-Systeme wirklich gesichert sei. Auch bei Lake Solutions führte Corona zu einem Arbeitsschub. Die Kunden greifen beim Aufbau von Home-Office-Strukturen vermehrt auf die Dienstleistungen der Ricoh-Tochter zurück. Auch für Installationen, die den Remote-Zugriff aus dem Home Office sicherstellen, ist die Nachfrage gestiegen.

ICT CoronaWo bitte gehts nach New Work?

Jede Organisation werde ihren eigenen Mix aus Home Office, Büro und Coworking-Spaces finden, ergänzt Niema Nazemi, Head of Collaboration von Cisco, und er prophezeit: «Die verteilte Teamarbeit wird bleiben.» Entsprechend gefragt seien denn auch Produkte für die dezentrale Zusammenarbeit. Gemäss Cisco Schweiz schnellten die Zugriffe auf die kostenlose Version der Collaboration-Lösung WebEx in den ersten Corona-Wochen um den Faktor 7 in die Höhe. Im April hätten eine halbe Milliarde Sitzungsteilnehmer rund 25 Milliarden Sitzungsprotokolle generiert – mehr als das Dreifache des Durchschnitts. Das trieb den Netzwerk-Traffic nach oben, wobei der verstärkte private Konsum seinen Teil dazu beitrug. Swisscom lässt verlauten, dass die Kunden während des Lockdowns mehr telefoniert und mehr TV geschaut haben. Beim Telko selbst waren während der ausserordentlichen Lage rund 90 Prozent der Mitarbeitenden im Home Office.

«Die Anwender sind bereit für das Home Office», sagt Marcel Schmid, Leiter Kommunikation bei CKW. Aber wird es sich auch etablieren? Laut verschiedenen Erhebungen wollen zwischen 30 und über 50 Prozent der Arbeitnehmenden auch nach dem Lockdown wenigstens teilweise im Home Office arbeiten, weiss man bei Abacus. Ein Grossteil der Mitarbeitenden schätze die Flexibilität, von zu Hause aus arbeiten zu können, sagt InfoGuard-CEO Thomas Meier.

Kinder, Kaffee, Kontrolle?

Für Ales Kupsky, Head of Application Services und stellvertretender CEO bei Avectris, ist das Home Office auch eine Kulturfrage. Es fordere neue Wege der Kollaboration und des Austausches und für die Mitarbeiterführung «auf Distanz» brauche es klar vereinbarte Ziele. Philipp Kronenberg rät Firmen, neue Teamrituale einzuführen. Der CEO von bbv Software Services meint damit unter anderem virtuelle Teamapéros, Remote-Stand-ups oder auch Staff Meetings. Bei IT-Problemen müsse man die Mitarbeitenden aktiv unterstützen. Die zwischenmenschlichen Dialoge zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden sollten geplant und forciert werden, führt Kronenberg weiter aus. Roman Hugelshofer, Managing Director Application Security und Mitglied der Geschäftsleitung von Ergon, stellt gar fest, dass abteilungs- und teamübergreifende Aktivitäten ohne spezifische Massnahmen kaum noch stattfinden würden.

Direktschaltung zum Kunden

bbv Software weist darauf hin, dass die Neukundengewinnung herausfordernder geworden ist. Die bisherigen Akquisitionskanäle und -methoden seien von einem Tag auf den anderen weggefallen. Bei den bestehenden Kunden ist die Situation anders. Zu ihnen scheint sich die Beziehung durch Corona eher verstärkt zu haben, sagt Geiser von aspectra. Ihm zufolge ist die Kommunikation mit den Kunden direkter geworden. Gerne würden sich IT-Mitarbeiter hinter Chats, Tickets und E-Mails verstecken, mit dem Home Office sei die Bereitschaft nach gesprochenem und visuellem Austausch aber wieder gestiegen.

Innovationsprojekte leiden

Gemäss den Ergebnissen der aktuellen Top-500-Erhebung von Computerworld haben Hype-Themen wie die Blockchain, Augmented und Virtual Reality sowie künstliche Intelligenz mit der Corona-Krise an Bedeutung verloren. Stattdessen stehen Kernaufgaben wie die Modernisierung der IT-Infrastruktur wieder im Vordergrund (vgl. Grafik «Zugpferde» S. 18). Das ist nachvollziehbar: Wer weiss denn schon, wie lange die Krise anhält und wie lange Massnahmen wie etwa Kurzarbeit aufrechterhalten werden müssen? Da konzentriert man sich besser auf das, was wirklich wichtig erscheint. Dass Firmen während Corona Innovationsprojekte kurzfristig einfrieren, sei verständlich, erklärt Adesso-Manager Langer. Auf längere Sicht gesehen sei es aber essenziell, sich in Krisenzeiten neu zu erfinden und diese zukunftsträchtigen Projekte nicht zu vernachlässigen.

Die Bedeutung neuer Technologien sei durch die Krise aber nicht kleiner geworden, betont man bei Ergon: Distributed Ledger, Augmented Reality und Artificial Intelligence würden Chancen bieten, die den Anwenderunternehmen Wettbewerbsvorteile bringen. Kundenprojekte könne man trotz Corona fristgerecht abschliessen, manche sogar schneller als geplant. Eine digitale Bezahllösung für die Liechtensteinische Landesbank sei für den Sommer 2020 geplant gewesen, aber bereits Mitte April live gegangen.

ICT CoronaEin Balanceakt mit ungewissem Ausgang

Entscheider in Anwenderunternehmen werden nun also noch genauer abwägen müssen, wie sie die voraussichtlich schrumpfenden Budget-Töpfe am besten verteilen. «In Krisensituationen muss der Fokus auf dem Liquiditätsmanagement liegen», bringt es bbv-CEO Kronenberg auf den Punkt. Alle Vorhaben seien daher im Kontext der Unsicherheit zu prüfen – und allenfalls zu stoppen, zu stunden oder zu beschleunigen. Schöller von itesys warnt davor, Projekte wie eine S/4Hana-Migration wegen Corona zu vernachlässigen. Ein Workshop könne helfen, nicht zu viel Zeit zu verlieren und mit einer Roadmap den Weg vorzubereiten. Es braucht also einen Mittelweg, wozu auch ELOs Mosbach rät: «Ich glaube, man wird eine Balance finden müssen, wichtige, langfristige Projekte nicht abzuwürgen und gleichzeitig andere Projekte konsequent in Angriff zu nehmen, um das Überleben eines Unternehmens zu sichern.»

ICT Corona

Den kompletten Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe von Computerworld (Nr. 8/9)

Der Experte

Philipp Kronenberg

Philipp Kronenberg ist seit Anfang 2014 CEO der bbv Software Services. Zugleich bekleidet er den Posten des CFO, den er zuvor bereits seit elf Jahren innehatte. Kronenberg sammelte Berufserfahrung als Controller und Treuhänder in Industriebetrieben und studierte Betriebsökonomie an der Hochschule Luzern.

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