Adrian, Sonja, wie und wo entstehen Visionen?
Adrian Bachofen: Visionen entstehen nicht durch eine einzelne Person, die sie dann verbreitet. Eine Vision muss getragen werden. Wenn sie kein Fundament, keine Substanz hat, bringt sie nichts. Ideen, ein Gespür für Strömungen, ein Blick für die Herausforderungen der Zukunft – all das wird unter einer Vision subsumiert. Dazu braucht es viele intelligente Köpfe und Reflexion von allen Seiten.
Sonja Betschart: Visionen entstehen aus Inspirationen. Inspirationen wiederum meistens aus einem Bedürfnis: Man erkennt ein Bedürfnis, ist dadurch inspiriert und leitet daraus eine Vision ab – mit der Absicht, wirklich grosse Probleme unserer Welt zu lösen.
Welche dieser Probleme adressiert WeRobotics?
Sonja Betschart: Am Anfang sprachen wir von der Demokratisierung von Technologien wie Drohnen, Daten und KI. Der Zugang zu diesen ist oft ungleich verteilt – genau das wollen wir ändern. Allerdings war das zu kurz gegriffen. Es geht nicht nur um den Zugang zu Technologien – hier wären Länder, die technologisch noch nicht weit fortgeschritten sind, nach wie vor von der Expertise des Nordens abhängig. Uns geht es zusätzlich auch um Nachhaltigkeit. Deshalb sprechen wir von der Dekolonialisierung von Technologie. Mit unseren «Flying Labs» werden lokalen Experten Drohnen bereitgestellt und das dazu notwendige Know-how vermittelt, damit sie die Technologien selbstständig für die Lösung lokaler Probleme einsetzen können. Etwa zur Bekämpfung von Malaria in Tansania, zur Minimierung des Katastrophenrisikos in Peru, Indien und der Elfenbeinküste oder für Cargo-Drohnenprojekte in Nepal. Dazu arbeitet WeRobotics auch mit NGOs zusammen.
«Visionäre brauchen innere Stabilität und ein Urvertrauen in die Sache. Und man muss dranbleiben: nicht nur eine Woche, sondern Jahre oder Jahrzehnte.»
Adrian Bachofen
Und wie kam bbv zu ihrer Vision?
Adrian Bachofen: Ganz am Anfang lag unsere Vision in der Luft zwischen den Gründern. Doch je grösser das Unternehmen wurde, desto bewusster mussten wir sie formulieren. Uns beflügelten die verschiedenen technologischen Wellen, denn jedes Mal ergaben sich daraus ganz neue Möglichkeiten. Begonnen im Embedded-Bereich, können wir heute Visionen unserer Kunden partnerschaftlich mitgestalten und einen sinnstiftenden Beitrag leisten. Auf unsere Vision bezogen, bedeutete das, dass wir sie in den 25 Jahren immer wieder reflektiert und geprüft haben, ob sie noch Bestand hat. Heute kann ich sagen, dass die Richtung immer noch stimmt, der Claim «Making visions work.» gefällt mir. Mit der Vision ist es aber nicht getan, wir haben zusätzlich viel Aufbauarbeit für unsere Kulturprinzipien und fürs Corporate Understanding geleistet sowie Bausteine hinzugefügt, welche die Vision stützen und stärken. Ausserdem braucht es Galionsfiguren, die authentisch und glaubhaft auftreten, die begeistern, überzeugen, die andere Mitarbeitende bewegen und zusammenführen können. Sonst verkommt die Unternehmensvision zu einer leeren Worthülse und verliert ihre ganze Wirkung.
Sonja Betschart: Das sehe ich gleich. Sonst wird die Vision zur leeren Hülle. Visionen müssen getragen werden, von Mitarbeitenden und von Partnern.
«Man darf sich als visionäre Person nicht davor fürchten, sich zu täuschen. Das verlangt Mut. Mut vor dem Ungewissen.»
Sonja Betschart
Eine Vision zu formulieren, ist das eine, sie zu leben das andere. Was macht visionäre Personen aus?
Adrian Bachofen: Wer schon vor der kleinsten Hürde zurückschreckt, wird wohl kaum auf eine Vision hinarbeiten, die definitionsgemäss in einer weit entfernten Zukunft liegt. Visionäre brauchen innere Stabilität und ein Urvertrauen in die Sache. Und man muss dranbleiben: nicht nur eine Woche, sondern Jahre oder Jahrzehnte.
Sonja Betschart: Ich stimme dir zu: Man braucht auf jeden Fall eine längerfristige Ausrichtung. Manchmal muss diese aber auch sehr dynamisch angepasst werden. Auch wenn man eine Vision hat, ist der Weg dorthin oft unklar. Unter Umständen beschreitet man andere Pfade als ursprünglich gedacht. Daher darf man sich als visionäre Person nicht davor fürchten, sich zu täuschen. Das verlangt Mut. Mut vor dem Ungewissen.
Woher nimmt man die Energie, um einer Vision mit Ausdauer und Furchtlosigkeit nachzugehen?
Adrian Bachofen: Ich glaube, aus der Energie und der Vision entsteht eine Wechselwirkung. Aus den Fortschritten, die man bei der Verwirklichung von Visionen macht, schöpft man Kraft. Und dadurch ist man in der Lage, die Vision weiter voranzutreiben. Eine Vision ohne das Tun ist langweilig. Und ein Tun ohne Vision auch.
Nicht jeder ist begeistert von einer Vision. Wie geht man hier mit Kritik um?
Adrian Bachofen: Kritische Stimmen einfach zu ignorieren oder abzukanzeln, ist gar nicht gut. Einwände und Zweifel sollten ernst genommen werden und in einen konstruktiven Dialog fliessen. Dadurch kann die Vision sogar weitergebracht oder verbessert werden.
Sonja Betschart: Wir nutzen oft Design-Thinking- und Co-Creation-Methoden, die uns die notwendigen Frameworks und Prozesse geben, um kontinuierlich Stakeholder miteinzubeziehen. Dabei versuchen wir auch stets, Leute in unsere Gespräche zu involvieren, die unserer Vision sehr skeptisch gegenüberstehen. So kann man schon vorgängig Fragen ausdiskutieren, die später auf uns zukommen werden. Ausserdem betreiben wir sehr viel Storytelling. Mit guten Storys, die zeigen, was alles realisierbar ist, lassen sich viele Ängste und Zweifel abbauen. Das hilft uns auch bei der Suche nach geeigneten Partnern. Die Technologie ist eigentlich immer das kleinste Problem.
Adrian Bachofen: Dem kann ich nur beipflichten. Das Storytelling ist essenziell. Mit den erbrachten Leistungen, mit innovativen, komplexen Projekten zeigt man anderen Kunden auf, wozu man als Partner fähig ist. Und man hält ihnen vor Augen, dass man auch für ihre Unternehmensvision einen wesentlichen Beitrag zu leisten vermag. Gute Storys inspirieren Menschen und plötzlich möchten sie sich darin wiedererkennen. Die Kommunikationsleistung, die man hierfür erbringen muss, ist gross. Der Use Case muss authentisch, greifbar, spürbar beschrieben werden.
Sonja Betschart: Manchmal muss eine Vision auch frech sein. Eine gute Vision, die einen sinnstiftenden Beitrag für die Welt zu leisten versucht, bringt ja nicht nur Zweifler, sondern auch Befürworter hervor. Somit muss eine zu verfolgende Vision gross genug gedacht werden, sodass sie Stakeholder bewegt.
Wie wichtig sind Visionen für die Mitarbeitenden?
Adrian Bachofen: Die Bedeutung von Visionen hat über die Jahre stark zugenommen. Für viele Leute ist ein Unternehmen mehr als ein blosser Arbeitgeber. Sie suchen einen Arbeitsplatz, der auch im Einklang mit den eigenen Überzeugungen und Idealen steht. Wir haben es geschafft, den Leuten den sinnstiftenden Mehrwert, den wir mit bbv schaffen, aufzuzeigen und sie dafür zu begeistern. Wir haben viele langjährige Mitarbeitende. Ich denke, diese Kontinuität ist in der heutigen Zeit von hohem Wert.
Sonja Betschart: Bei uns ist es nicht anders. Wir sind ein junges Team und wir tun alles dafür, damit wir unser Team in dieser Form aufrechterhalten können. In unseren Entwicklungsprojekten arbeiten wir mit Praktikanten der ETH und der EPFL zusammen. Durch diese Kollaboration begegnen wir stets unglaublich motivierten Menschen, die in unserer Arbeit finden, wonach sie gesucht haben.
Sonja, du sagtest, die Technologie sei das kleinste Problem. Adrian, würdest du dem zustimmen?
Adrian Bachofen: Es kommt auf die Grösse der Vision an. Wenn man sich an den Rand der technologischen Möglichkeiten begibt, entstehen grosse Hürden. Eventuell muss man erst Vorleistungen erbringen, welche die technologischen Möglichkeiten konkret aufzeigen, bevor man Partner oder auch Kunden für sich gewinnen kann. Viele Kunden spüren Druck von allen Seiten. Sie müssen funktionieren und es gibt nur wenig Raum, Risiken einzugehen. Da muss man schon Überzeugungsarbeit leisten, bevor sie in eine Partnerschaft einwilligen.
Wie deutlich muss man Partner und Kunden überzeugen?
Adrian Bachofen: bbv ist ein Software- und Beratungsunternehmen. Wir missionieren nicht bei unseren Kunden – das wäre überhaupt nicht angemessen. Wir prüfen sehr früh, ob es eine Übereinstimmung zwischen der Vision des Kunden und unserer Vision gibt. Es muss schon schnell klar werden, dass beide Parteien daran glauben, die Vision co-kreativ zu verfolgen und ihr schrittweise näherzukommen. Davon müssen wir auch bei bbv überzeugt sein. Nur so sind wir in der Lage, unseren Kunden die notwendige Sicherheit bei der Projektrealisierung zu geben.
Ist ein Alleingang hin zur Unternehmensvision überhaupt denkbar?
Sonja Betschart: Das ist eine Frage der Geschwindigkeit und der finanziellen Ressourcen. Gerade im technologischen Sektor ist es schwierig, ohne Hilfe von aussen Schritt halten zu können. Wer das im Alleingang tun möchte, wird meistens schwerfällig, langsam und teuer. Es lohnt sich deshalb, die Stärken kompetenter Partner zu nutzen. WeRobotics an sich ist klein aufgestellt – und wir möchten auch klein bleiben. Das Wachstum vollziehen wir mit Partnerschaften. So hat im Gegensatz zur Anzahl unserer Mitarbeitenden die Anzahl an Aktivitäten stark zugenommen.
Adrian Bachofen: Wie könnt Ihr immer mehr Partnerschaften bei gleichbleibender Mitarbeiterzahl eingehen? Die Komplexität nimmt mit zunehmenden Partnerschaften nicht ab, im Gegenteil …
Sonja Betschart: Unsere Partner übernehmen einen Teil unserer Aktivitäten. Wir können unsere lokalen Wissenszentren selbst im Umgang mit Drohnen schulen – was zeit- und ressourcenintensiv ist. Oder wir schulen die Partner, welche die Schulungen fortan übernehmen. Wir sehen uns als Ecosystem Facilitator. Oft weiss die Industrie nicht einmal, dass es in gewissen Märkten passende Kunden gibt. Wenn man diese Verbindung herstellt, wird man zum Dreh- und Angelpunkt des Ökosystems – und kann daraus entstehende Synergien für sich nutzen.
Merken Kunden und Partner denn, dass man visionär ist?
Sonja Betschart: Wie visionär wir sind, das wird sich erst noch zeigen. Um das zu beurteilen, sind wir noch zu jung. Ich denke, dass sich rund fünf Jahre nach der Gründung – also in etwa zwei Jahren – abzeichnen wird, ob wir wirklich auf unsere Vision zusteuern.
Adrian Bachofen: Aber was ihr angepackt habt, ist doch bereits visionär.
Sonja Betschart: Die Art und Weise, wie wir arbeiten, ist bereits visionär. Ob wir damit aber wirklich den Beitrag leisten, den wir in unserer Vision formuliert haben, das steht noch offen.
bbv steht mit ihrer 25-jährigen Geschichte an einem anderen Punkt. Wie sieht die Zukunft des Unternehmens aus?
Adrian Bachofen: Bei bbv möchten wir das Visionäre weiterhin gerne fördern und dürfen nicht abwarten, bis man uns sagt, dass wir uns vorwärtsbewegen müssen. Aus diesem Grund haben wir das bbvLab mit Fokus auf Ecosystem Economy und Platform Based Business für unsere Kunden lanciert. Die Idee dahinter ist, Visionen schneller zu erreichen, indem technologische Möglichkeiten, Business Model Innovation und Visionen gleichermassen weiterentwickelt werden. Dies wendet bbv aus eigenem Antrieb auch auf sich selbst an. In den letzten 25 Jahren haben wir – gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern – bewiesen, dass wir dazu in der Lage sind.
Die Interviewpartnerin
Sonja Betschart
Sonja Betschart ist Co-Founder und CEO von WeRobotics. Das 2015 gegründete Not-for-Profit-Unternehmen schafft und fördert ein Netzwerk von lokalen Wissenszentren in Afrika, Asien und Lateinamerika und ebnet diesen den Weg zu Technologien wie Drohnen und KI. Diese «Flying Labs» leisten vor Ort elementare Beiträge in den Bereichen humanitäre Hilfe, Gesundheit, Entwicklung und Umwelt.
Der Interviewpartner
Adrian Bachofen
Adrian Bachofen ist Mitbegründer und Verwaltungsratspräsident der bbv Group AG. Als Unternehmer legt er grossen Wert auf Innovationen und berät Verwaltungsräte, Entrepreneurs und Investoren in Visions-, Strategie- und Digitalisierungsthemen. Sein Fokus liegt auf intelligenten Business Ecosystems und Plattform-Strategien. Er ist Vorstandsmitglied des Innovationsparks Zentral- schweiz und des Technologie Forum Zug.