Zusammenarbeit und Kommunikation

Der Weg zum agilen Unternehmen

Viele Teams – insbesondere in der Softwareentwicklung – wenden agile Arbeitsmethoden erfolgreich an. Kein Wunder, möchten viele andere Unternehmen auch agil werden. bbv-Experte Harald Beer weiss, wie man diese Herausforderung meistert.

12.12.2018Text: tnt-graphics0 Kommentare
Agiles Unternehmen

«Agil» ist in den letzten Jahren zum Buzzword geworden, das für viele Unternehmen verlockend klingt. Schliesslich ist Agilität in aller Munde und wird von vielen Organisationen, Unternehmen und Abteilungen mit Erfolg angewandt. Agilität bedeutet flexibler auf den Markt reagieren zu können, kürzere Time-to-Market zu erreichen, transparent und mit weniger bürokratischem Aufwand zu arbeiten. Nicht nur die Softwareentwicklung soll heute agil sein, Teams arbeiten auch in der Industrie, in Telekomfirmen oder im Maschinenbau nach dem agilen Manifest.

Herausforderungen in der Umsetzung

Doch wie führt man Agilität im Unternehmen ein? Was es genau heisst, die neue Arbeitsmethode anzuwenden, sind sich viele Unternehmen und Teams nicht bewusst. Es ist nicht damit getan, Scrum-Teams zu bilden und die Arbeit in Sprints einzuteilen. Vielmehr müssen komplette Strukturen innerhalb des Unternehmens angepasst und das Personal auf die neuen Aufgaben und Rollen vorbereitet werden.

Die Umwandlung einer bestehenden Organisation in eine agile Zusammenarbeitsstruktur erfordert viel Geschick, Offenheit und Kommunikation. Das Ignorieren dieser Tatsachen kann zu Frustrationen führen, wenn sich die Ergebnisse nicht gleich so einstellen, wie man es sich erhofft hat. Zudem lassen sich agile Methoden nicht einfach von heute auf morgen einführen. «Es ist ein längerer Prozess, der ein Umdenken und Bereitschaft voraussetzt, und der rund zwei Jahre in Anspruch nimmt», sagt Harald Beer, IT Consultant bei bbv. Dabei muss die Unternehmensleitung von der Agilität und ihren Konsequenzen überzeugt sein und das auch nach innen wie aussen glaubwürdig demonstrieren.

«Viele Unternehmen machen den Fehler, dass sie sich nicht die Zeit nehmen, über ihre Unternehmensvision nachzudenken.»

Harald Beer, IT Consultant bei bbv.

 

Unternehmen brauchen eine Vision

«Im agilen Umfeld soll jedes Team autonom arbeiten. Die Problemantik dabei ist, dass man es fertigbringen muss, dass alle Teams auf dasselbe Ziel hinarbeiten», sagt Harald Beer. «Viele Unternehmen machen jedoch den Fehler, dass sie sich nicht die Zeit nehmen, über ihre Unternehmensvision nachzudenken.» Die Verantwortlichen des Unternehmens sollten sich etwa Fragen stellen und beantworten können wie:

  • Welche Vision haben wir als Unternehmen?
  • Was ist unsere Aufgabe, unser Ziel?
  • Welches sind die Märkte in zehn Jahren und welche Rolle soll das Unternehmen darin spielen?
  • In welcher Weise sind und bleiben wir für Mitarbeitende attraktiv und bieten ihnen eine Perspektive?

«Leider fehlt es in Schweizer Unternehmen oftmals an Leitfiguren, die übergeordnete Ziele und Visionen verkörpern und richtig kommunizieren», sagt Beer. Die «Steve Jobs der heutigen Zeit», die Ziele im Sinne von «something bigger than yourself» kommunizieren und wie ein leitender Fixstern im Unternehmen Orientierung schaffen würden, fehlten häufig in Unternehmen. «Anstatt, dass die Vision und Mission jederzeit präsent sind, verstauben sie irgendwo im Intranet.» Harald Beer gibt den Unternehmen den Ratschlag auf den Weg: «Stehen Sie hin und verkünden Sie Ihre Vision. Holen Sie die Mitarbeitenden ab, kommunizieren Sie regelmässig und motivieren Sie sie zu Feedbacks und verarbeiten Sie dieses greifbar. So werden die Vision und eine konkrete Strategie nachvollziehbar und authentisch, sodass sich alle damit identifizieren können.»

Schritt für Schritt zur Agilität

Die gemeinsame Ausrichtung fördert zielgerichtetes Arbeiten. Fehlt das konkrete Ziel, halten sich alle zu stark am Prozess fest. Wichtige Entscheidungen bleiben auf der Strecke. Diese Tatsache konnte Harald Beer in seiner Beratertätigkeit schon öfters beobachten. Deshalb soll der Fokus stets auf das gemeinsame Ziel anstatt auf strikte Prozesskonformität geleitet werden. Dabei muss nicht gerade das gesamte Unternehmen auf einmal umstrukturiert werden, das wäre ein «zu gigantischer Prozess».

«Agilität im Unternehmen einzuführen, ist ein Change-Management-Projekt. Alle Beteiligten müssen sich in ihren neuen Rollen zurechtfinden. Der Wechsel von einem befehlenden zu einem Service-orientierten Führungsansatz erfordert ein bewusstes Umdenken.»

Harald Beer, IT Consultant bei bbv.

 

«Um Agilität auszuprobieren, also im Unternehmen einzuführen, eignen sich vorzugsweise Projekte, die autonom abgewickelt werden können», sagt Beer. Die unabhängige Entwicklung eines Produkts kann mit agilen Methoden geschehen, während der Rest des Unternehmens noch an längere Release-Zyklen und an alte Legacy-Systeme gebunden ist. «Um beispielsweise für ein neues Produkt eine Continuous Delivery und somit eine kürzere Time-to-Market zu erreichen, sollte abgekoppelt von anderen Projekten gearbeitet werden können. Man entwickelt ausserhalb der alten, verknöcherten Strukturen und kann das Neue wachsen und gedeihen lassen.» Während sich die «alte» Organisation weiterhin um Service und Wartung kümmert, kann die neu strukturierte Abteilung also gleichzeitig ein neues Produkt entwickeln.

agil

Das Scrum Team muss autonom ausgerichtet arbeiten können. Anstatt dass Spezialisten wie bisher in ihrer horizontalen Schicht (Präsentation im Web, die eigentliche Anwendung und die Daten, die verwendet werden) tätig waren, sind sie neu Generalisten, die ein Produkt auf dem vertikalen Ablauf von Anfang bis Ende begleiten.

 

Die Rollen werden neu verteilt

Für agile Teams heisst es: Alle 2 bis 4 Wochen, wenn jeweils ein Sprint fertig ist, sollten die neusten Produktfeatures vorgestellt werden. Damit die Prozesse einwandfrei laufen, benötigt es auf allen Seiten ein Verständnis für die neue Aufgaben und eine neue Arbeitsteilung. Das Team kann das ganze erforderliche Spektrum abdecken. Das heisst, die Fähigkeiten müssen breit verteilt sein, wobei einzelne Mitarbeitende jeweils ein Spezialgebiet haben können. «Agilität einführen ist ein Change-Management-Projekt. Alle Beteiligten müssen sich in ihren neuen Rollen zurechtfinden», erklärt Beer. «Der Scrum Master beispielsweise löst Probleme, er unterstützt die Entwickler, damit diese effizient ihre Arbeit machen können. Der Wechsel von einem befehlenden zu einem Service-orientierten Führungsansatz erfordert aber ein bewusstes Umdenken.»

Beim mittleren Kader würde oftmals ein Machtverlust befürchtet, «weil alte Zöpfe abgeschnitten» werden, weil die direkte Kommunikation und die Befehlserteilung wie bis anhin fehlt. «Das neue Rollenverständnis muss sakrosankt sein», sagt Beer. «Wenn jemand besonders durchsetzungsfähig ist oder besondere Fähigkeiten hat, wurde er bis anhin vermutlich irgendwann Teamleiter und später vielleicht Abteilungsleiter. Er wuchs in die neue Rolle hinein und machte vielleicht ein Führungstraining, im Herzen aber bleibt er Entwickler. Er hängt also weiterhin am Code und will überall dreinreden. So entsteht ein Management, das zu operativ fokussiert ist, anstatt sich strategisch an der Unternehmensvision auszurichten.»

agil

In der agilen Entwicklung sollten neben der konkreten Code-Bearbeitung auch Architektur, Requirements Engineering, Qualitätsmanagement, Operations bzw. Prozess-Ownership beim Scrum-Team liegen. So entsteht eine Ownership und dadurch gelebte Mitverantwortung. Die wenigen Rollen wie Team, Scrum Master und Product Owner sind klar umrissen. «Beim Priorisieren der Aufgaben muss die gemeinsame Produktvision klar im Vordergrund stehen», sagt Harald Beer. Die Fragen für das Scrum Team lauten unter anderem: Wie kann das Team qualitativ besseren Code liefern? Wie erreicht man kürzere Durchlaufzeiten? Die Suche nach Antworten erfolgt üblicherweise in der Retrospektive. «Dies erfordert, dass man das übliche Gärtchen-Denken verlässt und stattdessen grösser denkt. Man macht also Landschaftsarchitektur anstatt Schrebergarten.» Die Führungskräfte spannen den Rahmen dazu auf und schaffen den Teams die nötige Freiheit zur Entfaltung.

Investitionsphase bei der Einführung

Mit einer ersten agilen Produkteentwicklung können Erfahrungen für weitere Teile des Unternehmens gesammelt werden. «Es ist ein Ausprobieren, ein Herantasten, das aber konsequent durchgezogen wird.» Dabei entstehen anfänglich durchaus Nachteile: Die Entwicklung wird zu Beginn langsamer sein als üblich, es gibt Frustrationserlebnisse, Sprints, die das geplante Ziel nicht erreichten etc. «Am Anfang resultiert oft ein Produktivitäts- und Effizienzverlust. Das Unternehmen muss sich eine zweijährige Durststrecke leisten können», sagt Beer.

Bevor ein Unternehmen oder eine Abteilung agil arbeiten kann, braucht es eine entsprechende Vorbereitung. Unabdingbar sind fundierte Weiterbildungen des Personals und eine professionelle Begleitung von externen Experten. Dabei kann es sich um Coaches, Berater, aber auch um erfahrene Scrum Masters oder Product Owner (PO) handeln. Dazu kommen neue Infrastrukturen, mit denen beispielsweise die Mittel zur Kollaboration zur Verfügung gestellt werden. Harald Beer erklärt: «In einer intensiven Schulungsphase wird das Personal auf die neuen Anforderungen vorbereitet. Scrum Master und PO können zertifiziert werden, danach kann man loslegen und sich die neuen Prozesse in der täglichen Arbeit aneignen. Dann heisst es: üben, üben, üben …»

Der Experte

Harald Beer

Harald Beer ist Senior IT-Consultant bei bbv. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Umsetzung von IT-Vorhaben – sowohl im klassischen, als auch im agilen Umfeld. Mit diesem Know-how berät Beer seine Kunden bei Produktvisionen und -strategien sowie beim agilen organisatorischen Set-up.

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