IoT ist hoch im Kurs. IoT macht Prozesse effizienter, erlaubt es, wertvolle Schlüsse aus gesammelten Daten zu ziehen und scheint dadurch viele neue Möglichkeiten für erfolgreiche Business Cases zu eröffnen. Kein Wunder, überlegen sich viele Organisationen, sich die Technologie zu Nutze zu machen. «Das Interesse ist gross, viele Unternehmen wollen etwas mit IoT machen, wissen aber nicht so genau, was», sagt Martin Egloff, Business Area Manager MedTech und Industrie bei bbv. Er berät und begleitet Unternehmen, die an ein IoT-Projekt herangehen wollen und kennt die offenen Fragen und Unsicherheiten, die dabei entstehen. Zusammenfassend gibt er im Folgenden Empfehlungen für die wichtigsten Herausforderungen, die es in der Planungsphase eines solchen Unterfangens zu meistern gilt.
1. Business Case definieren
Die Motivationen, mit denen Unternehmen mit ihrem IoT-Anliegen an die Experten von bbv herantreten, können sehr unterschiedlich sein, sagt Martin Egloff. «Häufig sind die Ideen von Kunden eher technikgetrieben. Entsprechend liegt oft auch der Fokus eher auf der Technologie.» In der Anfangsphase sei es oft noch unklar, wie daraus ein effektiver Mehrwert generiert werden könnte und wie man ein solches – meist komplexes – Projekt zum Gelingen bringt. Hier kommt bbv ins Spiel und unterstützt die Unternehmen bei der Erarbeitung eines Business Case.
Mithilfe bewährter Methoden in Workshops finden die relevanten Stakeholder heraus, welche Anwendungsfälle einen Mehrwert bieten können. Gesucht wird, wie die Anwendungsfälle zur Senkung der eigenen Kosten oder zu einem verrechenbaren Dienst an die Kunden ausgebaut werden können. «Meist werden diese Informationen als Basis verwendet, um der Geschäftsleitung einen konkreten Business case vorzustellen oder einen Investitionsantrag zu stellen», sagt Martin Egloff. Die Herleitung des Business Value sei deshalb bereits in dieser Phase zentral.
Gemäss Martin Egloff lohnt es sich nicht, einfach mal anzufangen mit einer kleinen IoT-Anwendung und zu schauen, wie es läuft. Besser sei es, von Anfang an das Ganze zu Ende zu denken. «Wenn Investitionen getätigt werden sollen, muss ein berechenbarer interner oder externer Return ersichtlich sein: Entweder, man senkt Kosten oder man erschliesst mit dem Projekt neue Einkommensquellen.» Dieser Mehrwert soll zudem kommuniziert werden können. «Man muss wissen, wie man mit IoT Geld machen kann, sonst holt man andere Abteilungen, die Geschäftsleitung und Partner nicht ab.»
2 Alle internen Stakeholder involvieren
IoT-Projekte lassen sich nicht isoliert betrachten. Bereits in der Vorbereitung müssen alle Stakeholder involviert werden, sagt Martin Egloff: «Es sind immer mehrere Unternehmensbereiche involviert. Ein fehlender Management-Support oder mangelnde Akzeptanz einzelner Gruppen wirkt sich im Laufe des Projekts negativ aus und kann etwa zu Verzögerungen oder gar zum Projektabbruch führen.» Aber auch andere Unternehmensbereiche wie etwa die Vertriebs- oder die Service-Abteilung muss von Anfang an involviert werden. «Die Unterstützung aus dem Management gelingt nicht immer auf Anhieb. Es kommt vor, dass ein CTO konkrete Ideen hat und diese vorantreiben will, intern aber auf Granit beisst», so Egloff.
In jedem Fall aber spiele die Kommunikation eine Schlüsselrolle. Ohne transparente Vermittlung des Projektinhalts und des bestehenden Potenzials provoziert man Aussagen wie «Das haben wir immer so gemacht, es besteht kein Grund, das zu ändern». Deshalb sei es wichtig, alle Beteiligten bereits in der Planung in den Mittelpunkt zu stellen. Denn was bringt eine technisch ausgefeilte IoT-Lösung, wenn der Anreiz fehlt, sie zu nutzen oder sogar als Gefahr für sich selbst empfunden wird?
3. Markttauglichkeit und Akzeptanz prüfen
Die Geschäftsidee steht. Doch wird das neue Produkt am Markt erfolgreich sein? «Die Kunden müssen bereit sein, mit den veränderten Umständen, die ein IoT-System mit sich bringen kann, mitzumachen. Die Akzeptanz ist elementar für den Erfolg», sagt Martin Egloff. Wenn der Kunde Daten hergibt, hat er oder sie noch nichts davon. Deshalb müsse man den Mehrwert aufzeigen, um das Ergebnis aus den gesammelten Daten schmackhaft zu machen. «Das kann zum Beispiel eine Reduktion von Servicekosten sein oder auf dem Nutzen basierte Businessmodelle», so Egloff. Am Schluss laufe es auf folgende Formel hinaus: Daten gegen Nutzen. Gerade bei KPI-gesteuerten Unternehmen oder Abteilungen sei dies besonders wichtig für die Akzeptanz. Auch interne Anwender und Mitarbeitende müssen den Nutzen erkennen können, damit sie die neue Technik akzeptieren.
4. Technische Machbarkeit prüfen
«Wenn man weiss, was das System vollbringen soll, folgen die Fragen nach der technischen Umsetzung», sagt Martin Egloff. Ob ein IoT-Projekt umsetzbar ist, hängt auch von technischen Rahmenbedingungen ab: Welche Übertragungstechniken können vor Ort eingesetzt werden? Ist das System in der Lage, auch mit grossen Datenmengen umzugehen? Welche Cloud-Services kommen zum Einsatz und könnte eine Standard-Plattform dienlich sein?
Auch regionale Eigenheiten und Einschränkungen müssten berücksichtigt werden. So sind etwa die Anwendung von IoT in China gemäss Egloff mit anderen Voraussetzungen behaftet als in vielen anderen Teilen der Welt. «Kunden, die in China etwa Produktionsmaschinen, Sensoren, Anlagen oder andere Geräte vernetzen wollen, finden besondere Bedingungen vor.» Zum Beispiel seien etwa Notifikationen von Alarmen zwischen einer Anlage und den Smartphones eines Servicetechnikers hinter der «Great Firewall» nicht per Google möglich. Deshalb muss ein anderer Push-Notifikations-Mechanismus eingesetzt werden. Dies ist zwar ein Detail, doch müssen solche Einschränkungen bekannt und bereits in der Planung berücksichtigt werden.
5. Mit Partnern und Spezialisten zusammenarbeiten
Soll ein Unternehmen neue Skills und Kompetenzen erarbeiten, damit es ein IoT-System selbstständig aufbauen kann? Oder wäre es besser, sich auf die Kernkompetenz zu konzentrieren und die neuen Aufgaben von Spezialisten zu beziehen? Martin Egloff hat dazu eine klare Meinung: «Ich sehe immer wieder, dass Unternehmen möglichst viel inhouse machen wollen. Dabei ist das in den meisten Fällen teurer, zeitaufwändiger und weniger erfolgreich.» Während der Aufbau von neuen Kompetenzen im komplexen Umfeld von Software- und Cloud-Diensten viel Aufwand bedeute, könne man das entsprechende Know-how problemlos einkaufen. Der Ehrgeiz, viel selbst machen zu wollen, bremse das Innovationstempo. «Zudem kann man sich auf seine Kernkompetenzen fokussieren und ist weniger auf einen knapp besetzten Arbeitsmarkt angewiesen, auf dem entsprechende Talente und IoT-Skills nicht einfach zu finden sind.» Gemäss Martin Egloff holen zwar die meisten Organisation externe Hilfe, jedoch zu wenig, da sie möglichst viel selbst machen wollen.
Es ist fraglich, ob man innerhalb eines branchenfremden Unternehmens jemals auf das genügend hohe Level einer spezialisierten und im Thema erfahrenen Softwarefirma kommen kann. Martin Egloff macht dazu ein anschauliches Beispiel aus einem anderen Umfeld: Ein Autohersteller stellt neben der Entwicklung und Produktion seiner Fahrzeuge nebenher kaum auch noch Reifen selbst her: Statt selbst synthetischen Gummi zu entwickeln oder Kautschuk-Plantagen in Übersee zu betreiben, bezieht er Reifen vom erfahrenen Reifenhersteller.
Grundsätzlich gilt: Statt zu versuchen, möglichst viele Aufgaben selbst zu übernehmen, verlässt man sich besser auf die Erfahrung und Expertise von Spezialisten und arbeitet mit diesen in einer Partnerschaft zusammen. Partnerschaft bedeutet, dass beide die Idee und das Ziel des Vorhabens immer vor Augen haben und es gemeinschaftlich und mitverantwortlich erreichen wollen. Starke Partnerschaften erweitern die Möglichkeiten und steigern die Erfolgschancen. Trotzdem: Die Frage «make or buy» muss seriös abgewogen werden. Ein Minimum an Skills und Verständnis muss auch intern vorhanden sein, um ein gutes Partnermanagement betreiben zu können. Neben technologischem Verständnis sind zudem auch vorhandene Kompetenzen betreffend Marktumfeld oder Branchenverständnis wichtig.
6. Ängste relativieren
Es besteht das Risiko, dass Partner oder Kunden Bedenken haben, für die gemeinsame Nutzung eines IoT-Systems ihre Daten einzusetzen. Weil Daten in der Cloud für die Analyse gespeichert werden, verlassen sie unter Umständen ein geschlossenes System. «Viele Unternehmen haben Angst, ihre Daten herauszugeben», sagt Martin Egloff. «Betreiber von Anlagen oder Maschinen befürchten, Partner oder Konkurrenten Rückschlüsse über die Produktionsverfahren, Maschinenkonfigurationen, Auslastungen, Prozesse etc. ziehen könnten.»
Martin Egloff wägt jedoch ab: Die Möglichkeiten, aus den Daten Geheimnisse zu extrahieren, wird überschätzt. Denn wäre das so einfach, gäbe es noch viel mehr Anwendungsfälle, für die sich eine Digitalisierung lohnen würde. Das Ganze sei ein Kompromiss zwischen einem erreichten Mehrwert und dem Risiko, ein Betriebsgeheimnis zu gefährden. Deshalb sei es wiederum wichtig, dass alle Beteiligten den Mehrwert erkennen, den sie durch die Dateneingabe gewinnen. Dieser Mehrwert könne etwa sein, dass eine Produktionsstrasse keine Standzeiten mehr hat, weil aufgrund der gesammelten Daten Probleme früh erkennen und man rechtzeitig entsprechende Massnahmen einleiten kann. So wird die Produktivität hoch gehalten und die Effizienz gesteigert.
7. Daten und Systeme schützen
Auch im IoT-Umfeld kommt es zu Cyberangriffen. «Kunden wünschen sich, dass eine Institution oder eine amtliche Stelle ein Sicherheitszertifikat zum Beispiel nach der Norm IEC 62334 erstellt, das einem System absolute Sicherheit bescheinigt oder das zumindest garantiert, dass sämtliche Massnahmen ergriffen worden sind, diese zu erreichen. Doch das gibt es nicht. Damit muss man leben.»
Die Sicherheitsvorkehrungen müssen per Design ins System integriert und deshalb von Beginn weg berücksichtigt werden. Der Einsatz von standardisierten IoT-Plattformen ermöglicht es beispielsweise auch im Industrie-Umfeld, Sicherheitsstandards einzuführen. «Doch diese Plattformen decken in einem komplexeren IoT-System immer nur einen Teilbereich ab», so Egloff. «Der Plattformbetreiber garantiert auf dieser spezifischen Ebene eine durch Verschlüsselung gesicherte Datenkommunikation.» Doch sollte die Sicherheit im ganzen System durchgängig und durch das ganze System hochgehalten werden. Dazu gehöre es beispielsweise auch, sicherzustellen, dass Zertifikate rechtzeitig erneuert werden.
8. Den Einfluss auf das Unternehmen nicht unterschätzen
Ein IoT-System ist keine rein technische Angelegenheit. Vielmehr kann es auch die Strukturen des Unternehmens oder das Mindset der Mitarbeitenden verändern. «Die interne Zusammenarbeit zwischen den Stakeholdern verändert sich mit der Einführung eines solchen Systems. Nicht überall werden die Motivation und die Akzeptanz dieselbe sein.» So könne es vorkommen, dass einer Service-Abteilung infolge von IoT-Automatisierungen völlig neue Aufgaben auferlegt werden oder dass im Verkauf neue Dienstleistungen angeboten werden. In der Folge verändern sich ganze Abteilungen und Berufsfelder, sagt Martin Egloff. Im Verkauf müssen etwa neue Produkte angeboten und in der IT neue Skills erarbeitet werden. Um die Veränderungen auf allen Ebenen zu unterstützen, sollte das Ganze im Einklang mit der Unternehmensstrategie stehen und vom Management integral unterstützt werden.
9. Klein anfangen und dann skalieren
Um die Technik und den Business Case zu testen, empfiehlt Martin Egloff, nach Möglichkeit ein PoC (Proof of Concept) oder ein MVP (Minimum Viable Product) zu erstellen. «Damit lässt sich die Lösung im Kleinen ausprobieren, die später gross ausgerollt werden soll. Konkret sollte man damit herausfinden und den Stakeholdern aufgezeigt werden können, ob sich die gewünschten Benefits wie geplant generieren lassen.» Mit einem MVP könne intern positives Marketing gemacht und Zweifler allenfalls überzeugt werden. Sollte sich herausstellen, dass der Mehrwert nicht erreicht wird, so kann man hier aufhören ohne bereits grosse Investitionen gemacht zu haben.
Der Experte
Martin Egloff
Martin Egloff ist Business Area Manager in den Bereichen Medtech und Industrie. Er kennt die speziellen Entwicklungsprozesse im medizinischen Umfeld und verfügt über langjährige Erfahrung in interdisziplinären Entwicklungs- und Beratungsprojekten in den Bereichen Software, Hardware, Maschinenbau und Consulting.